Oberhausen. Rock und Chartsstürmer statt Kammermusik: Die vier vom Joker Quartett sind preisgekrönte Entertainerinnen für den „schönsten Tag im Leben“.
Die Vier vom Joker Quartett dürften die Musikerinnen mit dem bei weitem elegantesten Publikum sein. Denn während man sich schon mal in Jeans zur Klassik-Matinee aufmacht, werden doch Hochzeiten landauf, landab immer aufwendiger. Und das junge Streichquartett aus Oberhausen bespielt – natürlich selbst ebenfalls „tres chic“ – höchst erfolgreich die gar nicht so kleine Nische rund um den „schönsten Tag im Leben“.
Mehr als das: Die Vier, die schon als „Bertha“-Gymnasiastinnen im vermeintlich so gestrengen kammermusikalischen Format für zwei Violinen, Viola und Cello loslegten, sind inzwischen preisgekrönte Entertainerinnen. Den „Wedding Award Germany“ gibt es in zahlreichen Kategorien – von der edelsten Mode über den schönsten Blumenschmuck bis zum (in fünf Sparten unterteilten) „Entertainment“. Und die vier „Joker“ – Melissa Tendick, Sofia Krebs, Sophie Dannöhl und Chéa Mertins – verdienten sich den ersten Preis in der Sparte „Live Musik Trauung“.
Das heißt nun keineswegs, dass junge Paare sich in Kirche oder Standesamt unbedingt zu Felix Mendelssohn-Bartholdys „Hochzeitsmarsch“ das Ja-Wort geben wollen – weit gefehlt. Der schlichte Satz, „Wir haben in unserem Repertoire sechs Stunden an Arrangements“, mit dem Violinistin Melissa Tendick das Gespräch eröffnet, meint vor allem: sechs Stunden aktueller Pop-Hits oder im Original stadionerprobter Rock-Hymnen. Von Billie Eilishs „Happier than ever“ bis zu Metallicas „Nothing else matters“. Immerhin hatten die Metal-Heroen aus Los Angeles ja schon zwei Live-Alben mit großen Sinfonieorchester eingespielt.
Was alles hinter einem Auftritt steckt
Und wie eine tourgestählte Band fühlen sich bisweilen auch die vier Studentinnen aus Oberhausen. „Für uns ist es schwierig, Urlaub zu planen“, sagt Chéa Mertins, die angehende Lehrerin und Cellistin: „Wir sind im Sommer komplett ausgebucht.“ Und anders als manche ganz dem klassischen Metier verschriebenen Musiker behandeln die vier hochmusikalischen „Dienstleisterinnen“ auch die geschäftliche Seite ihrer Kunst mit Elan und Könnerschaft – schließlich reicht die Hochzeitssaison von März bis Oktober und will gut organisiert sein.
Längst haben die vier Studentinnen (zwei angehende Ärztinnen, die Pädagogin am Cello und Melissa Tendick als Folkwang-Hochschülerin und Einzige im Musikfach) auch Zweitbesetzungen im Team, verfügen sie über eine Webseite mit erstklassigen Fotos und haben auch die organisatorischen Aufgaben als eingespieltes Team aufgeteilt. „Was alles hinter einem Auftritt steckt . . .“ – den Satz der ersten Violinistin vollendet die Cellistin: Allzu Gönnerhafte im Publikum haben die Vier oft genug verblüfft. „Die netten Mädels“ beherrschen ihre Instrumente.
Mehr als das: Alle Arrangements sind „made by Joker“ – und das ist bei ihren Anverwandlungen von Pop- und Rock-Songs keine geringe Leistung. Schließlich müssen ihre vier Instrumente alle Stimmen der oft genug hochglanzpolierten Chartsstürmer rekreieren: Hier sind die Streicher eben nicht nur der fluffige Hintergrund. Aus jenen Ausnahmen, wie „Bittersweet Symphony“ von The Verve, bei denen auch im Original die Streicher markant hervortreten, schuf Bratschistin Sophie Dannöhl ein „Pop String Medley“.
Mit Medleys fordert sich das Quartett gerne heraus
Apropos Medleys: Auf die Kunst der elegant ineinander gleitenden „Sampler“ (wie man heute vielleicht sagen würde) sind die Musikerinnen besonders stolz. Duftige Potpourris kreieren sie für jede Gelegenheit: Sei es das „Tote Hosen“-Medley für die Hochzeit eines Über-Fans oder jener weitgespannte Bogen, der vom Barockmeister Johann Pachelbel bis zu den kreischigen Rockrüpeln AC/DC reicht. Mit Medleys fordert sich das Joker Quartett gerne selbst heraus. „Wir brauchen den Kick“, sagt Melissa Tendick, „immer wieder Neues aufzunehmen“.
Darum schwingt auch leises Bedauern mit, dass sie keines ihrer favorisierten „coolen“ Medleys auf dem ersten eigenen Album „Ace“ unterbringen konnten – in gewohnter Professionalität eingespielt in nur zwei Tagen. Doch es war schon ohne derlei Song-Bouquets aufwendig genug, das Plazet für ihre „Coverversionen“ einzuholen – die tatsächlich viel mehr sind. „Unsere Arrangements“, betont Melissa Tendick, „sind auch für Klassik-Liebhaber vielschichtig und spannend“.
Mit „Sondaschule“ vor 12.000 Rockfans
So entdeckt, wer offene Ohren hat, dass Adeles Soul-Stimme wunderbar dem Ton der Bratsche entspricht und dass eine Cellistin von Format nicht nur den Part des E-Bass, sondern auch des Schlagzeugs übernehmen kann. Zudem leistet Chéa Mertins auch noch die Moderation bei Konzerten. Und die in Haiti geborene, in Königshardt aufgewachsene 24-Jährige (die Jüngste im Quartett) spricht auch offen über eine Enttäuschung: Sie seien gute Botschafterinnen für Oberhausen, sammeln Anfragen von Kulturbüros weit über NRW hinaus – und spielten mit den Ska-Punks von „Sondaschule“ auch schon bei Olgas Rock vor 12.000 Fans. Doch sonst in Oberhausen? Melissa Tendick, die angehende Profi-Musikerin, würde das Quartett gerne mal dieser besonderen Gasometer-Akustik aussetzen.
Inzwischen gibt’s ja sogar die „Joker Beats“: Für Party, Stimmung und tanzbare Musik haben die Streicherinnen den Drummer und Percussionisten Michel Hartwig mit ins Boot geholt. Nicht nur modisch hat dieses Streichquartett damit das „kleine Schwarze“ abgelegt – und sieht sich ohnehin mehr als Band. Als Band nämlich sehnen sich die Vier nach abendfüllenden Konzerten – so schön die tränenrührende Akustik einer Hochzeitskirche auch sein mag. Im Mai 2023 feiert das Quartett der 24- bis 28-Jährigen dann schon seinen „10.“. Chéa Mertins: „Das müssen wir eigentlich groß feiern!“ – „Mit einem kleinen Urlaub“, meint Melissa Tendick trocken.