Essen. „Unbesiegbar“ heißt das neue Album der Mülheimer Ska-Punkband. Sänger Tim Kleinrensing im Interview über gute Zeiten und 20 Jahre Sondaschule.
Ein Pokertisch, dubiose Gestalten und mittendrin Tim Kleinrensing alias Costa Cannabis: Kurz nachdem der Frontmann der Sondaschule einen Kniffel gewürfelt hat, stürmt das SEK eine zur illegalen Spielhölle umfunktionierten Lagerhalle. Was wie eine Szene aus einem Gangsterstreifen klingt, ist auch tatsächlich eine: Zu ihrem neuen Album „Unbesiegbar“ drehte die Mülheimer Ska-Punkband einen Film, für den sogar Schauspieler Ralf Richter vor die Kamera trat. Auf dem Youtube-Kanal der Band gibt es das Werk – aufgeteilt in 13 Episoden – zu sehen, bald aber auch bei Kinoscreenings in der Heimat. Seit dem 11. Februar ist die neue Platte auf dem Markt.
Aufgrund eines Schicksalsschlags musste die Veröffentlichung des achten Studioalbums jedoch immer wieder nach hinten verschoben werden. Wegen der Pandemie musste die Sondaschule auch die „Gute Zeiten“-Tour in den Herbst verlegen. Im Gespräch mit Christopher Damm erklärt Frontsänger Tim Kleinrensing, warum nun dennoch gute Zeiten anstehen.
Tim, das achte Studioalbum „Unbesiegbar“ ist da. Ist man nach sieben Alben vor einer neuen Veröffentlichung trotzdem noch nervös?
Tim Kleinrensing: Auf jeden Fall. Es ist zwar nicht unser erstes Album, aber die Vorfreude ist natürlich da. Vor allem, weil wir wegen der Pandemie gefühlt länger am Album gefeilt haben. Corona macht das Ganze daher nochmal zu einem besonderen Erlebnis.
Wie war es denn, während der Pandemie ein Album aufzunehmen?
Am Anfang sind wir so an die Sache herangegangen, wie vor jeder anderen Albumaufnahme zuvor auch. Als die Pandemie kam, konnten wir aber erstmal sechs Monate überhaupt nicht ins Studio. Dann hatten wir die Idee, dass wir in der Zeit einfach einen Film zum Album drehen. Ralf Richter ist zum Beispiel mit dabei, ein absolutes Jugendidol von mir. Für uns war das natürlich ein absoluter Glücksgriff, dass wir noch die Zeit hatten, einen Film zu drehen. Die Pandemie hatte zumindest in diesem Zusammenhang eine positive Seite. Als gewisse Beschränkungen gelockert wurden, konnten wir dann auch wieder ins Studio und das Album aufnehmen.
Insbesondere die ersten Lieder der neuen Platte sind sehr laut und erinnern vom Stil an Ihre ersten Alben. Absicht?
Wir wollten unbedingt „back to the roots“ und uns mal wieder darauf besinnen, wo wir musikalisch herkommen. Wenn es live wieder losgeht, muss man die Suppenschüssel ordentlich durchrühren, das ist wichtig. Deswegen ist das Album auch so energiegeladen.
Trotz einiger Songs über Trauer strotzt das Album vor positiver Energie. Woher rührt dieser Optimismus?
Das mag an unserer Ruhrpott-Attitüde liegen, die wir in unserer DNA verankert haben. Man sollte immer das Beste aus dem machen, was man im Leben hat und die positiven Seiten eher beleuchten als die Negativen. Wir laufen aber nicht blind durch die Gegend und verschließen natürlich nicht die Augen vor allen traurigen Themen auf der Welt. Aber wir haben die Einstellung, dass, wenn sich irgendwo eine Tür schließt, sich woanders wieder eine öffnet. Das ist unsere Einstellung zum Leben: Immer noch das Positive in der größten Scheiße zu sehen.
Dabei mussten Sie im Sommer einen herben Schicksalsschlag verkraften. Ihr Gitarrist Daniel „Blubbi“ Junker verstarb im Juni plötzlich. Hat es Ihnen geholfen, den Tod musikalisch verarbeiten zu können?
Auf dem neuen Album hat er zum Glück noch auf allen Songs mitgemacht. Danach ist kein neuer Song für das Album entstanden. Aber die Songs bekommen natürlich jetzt einen ganz anderen Anstrich und nochmal eine ganz andere Bedeutung, als sie vorher hatten. Die Songs „Ich verspreche mir selbst“ und „Bevor ich irgendwann mal geh (ist schon ok)“ haben mir sehr dabei geholfen, über seinen Tod hinwegzukommen und mir in Zeiten der Trauer Mut zugesprochen. Die Lieder haben auch dafür gesorgt, dass wir Daniels Tod nicht verdrängen, sondern verarbeiten können, um weiterhin an den Traum, mit der Band Musik zu machen, zu glauben.
Gab es danach einen Moment, an dem Sie ans Aufhören gedacht habt?
Seitdem wir die Band gegründet haben, haben wir alles andere im Leben hintenan gestellt. Unsere Leben sind auf die Band ausgelegt, notfalls haben wir früher unsere Jobs gekündigt, um weiter Musik zu machen. Daniels Tod war dann natürlich ein Riesenschlag für uns. Es stand aber nie im Raum, dass wir aufhören. Nachdem wir zuletzt ein paar Konzerte gespielt haben, haben wir gemerkt, wie wichtig es für uns ist, die Energie auf Konzerten zu spüren. Danach ging es uns einen Monat wieder viel besser als während der gesamten Pandemie und nach Daniels Tod.
In 20 Jahren Bandgeschichte haben Sie bereits viele große Shows gespielt. Die letzten beiden Alben schafften es in die Top Ten der Charts. Wann hat die Band gemerkt, dass der Rubel nun rollt?
Ob der Rubel rollt, ist als Punkband immer so eine Sache (lacht). Als wir 2015 das zweite Mal zu „Rock am Ring“ eingeladen worden sind und über die Jahre gemerkt haben, dass die Hallen immer größer werden und die kleinen Club-Konzerte innerhalb von einer Minute ausverkauft werden, war uns klar: Okay, die Leute haben schon ziemlich Bock auf uns. Nach 13 Jahren Bandgeschichte hat man dann plötzlich auf den großen Dingern gespielt, bei denen wir vorher draußen am Zaun gewackelt haben.
„Spätestens beim letzten Song lagen die Leute aber wieder aufeinander“
Letztes Jahr haben Sie pandemie-bedingt nur kleinere Shows gemacht. Konnten Sie dabei feststellen, dass es beim Publikum eine Scheu vor dem Pogo gab?
Bei unserem Hallenkonzert in Oberhausen im November waren die Leute im Publikum zu Beginn noch ein bisschen zurückhaltend. Bis zum dritten Bier hatten die Leute im Publikum noch etwas Angst. Spätestens beim letzten Song lagen die Leute aber wieder aufeinander, es wurde gepogt und gefeiert. Mit dem Bierpegel ging die Angst, also alles so wie immer. Was man aber auf all unseren Shows im letzten Jahr gemerkt hat, ist, dass die Leute hungrig danach sind, auf Konzerten wieder durchzudrehen. Wenn es wieder ohne Beschränkungen möglich ist, sind wir bereit für eine Party.
Planmäßig sollte Ihre „Gute Zeiten“- Tour“ am 3. März in Hamburg starten. Nun wurde die Tournee in den Spätsommer verschoben. Hatten Sie zu wenig Planungssicherheit durch die alte Corona-Schutzverordnung?
Uns blieb leider keine andere Wahl. Die Infektionszahlen schießen jeden Tag aufs Neue in die Höhe und wir touren durch mehrere Bundesländer. Wir haben natürlich die ganze Zeit gehofft, dass wir die Tour im Frühjahr spielen können. Doch weil Omikron aktuell so um sich greift, haben wir uns in den letzten Wochen umgesehen, was noch im Frühherbst möglich ist und wo es freie Termine gibt. Wir haben dabei zweigleisig geplant. Das haben wir mit Ach und Krach geschafft, weil alle Clubs und Hallen im Herbst rappelvoll mit Veranstaltungen sind. Viele Bands verschieben ebenfalls ihre Touren, deswegen sind sehr viele Konzerthäuser überflutet mit Nachholterminen. Wir haben das Glück, dass wir in allen Städten, in denen wir auf unserer Tour spielen wollten, im September dann auch spielen können.
Dafür steht am 23. Juli ein großes Highlight an: Im Amphitheater Gelsenkirchen wird das 20-jährige Bandjubiläum mit einem großen Konzert gefeiert. Laut Ihrem Wikipedia-Eintrag gibt es die Band aber schon seit 1999.
Wir machen uns gerne jünger als wir sind (lacht). Nein, wir haben 2002 unser erstes Konzert im Zentrum Altenberg in Oberhausen gespielt. Wir haben vorher immer im Proberaum rumgehangen, wie das ganz viele ‘Bands’ machen, die aber noch nie einen Auftritt hatten. Für uns ist eine Band aber erst eine Band, wenn sie ihren ersten Auftritt hatte, und seitdem rechnen wir in Sondaschule-Jahren. Seitdem sind wir im Übrigen auch in der Besetzung.
Wie kam es eigentlich zu dem Namen Sondaschule?
Das bezieht sich auf die Stildebatte im Punk: Oldschool gegen New School. Da haben wir für uns überlegt, dass wir nichts von beidem sein wollen und unsere eigene Schublade aufmachen wollen. Die Mutter unseres Bassisten sagte vor mehr als 20 Jahren, dass wir schlimmer sind als ihre Schüler. Sie war Lehrerin auf einer Sonderschule. So wurde der Name quasi geboren. Eine Quatschidee, die sich nach 20 Jahren mittlerweile etabliert hat.
Was hat sich in den letzten 20 Jahren für Sie alles verändert?
Bis jetzt war es eine sehr aufregende Reise. Was sich getan hat, ist, dass wir mittlerweile eher nur noch 30 Konzerte im Jahr spielen und nicht mehr 80. Außerdem beherrschen wir unsere Instrumente mittlerweile viel besser als früher. Das Musikalische ist dadurch zwangsläufig auch viel besser geworden. Sonst ist eigentlich alles so geblieben, wie es früher schon war, weil wir immer noch die gleichen Menschen geblieben sind. Wir sind immer noch Freunde, hängen immer noch zusammen rum, fahren zusammen auf Tour. Wir haben befreundete Bands, die wir von unserer ersten Tour im Jahr 2004 kennen und pflegen zu denen auch weiterhin engen Kontakt. Über die Jahre hat man aber auch immer wieder neue Bands und neue Freunde kennengelernt. Neu ist, dass wir das Album in Zusammenarbeit mit den Donots und deren Label Solitary Men selbst veröffentlichen und dabei auf eigenen Füßen stehen.
Werden Sie heute eigentlich häufiger erkannt, wenn Sie durch Mülheim oder Oberhausen laufen und einkaufen gehen?
Das Schöne an Mülheim ist ja, dass wir hier groß geworden und zur Schule gegangen sind. Über die Jahre kennen sich die Leute untereinander. Dann ist das auch nicht so ein großes Thema, dass wir eine Band sind. Was mir auffällt ist, dass ich auf Konzerten, egal wo in Deutschland, viel eher erkannt werde. Wenn ich aber jetzt zu Aldi gehe, sagt die Kassiererin an der Kasse nicht: „Sie sind doch der Sänger von der Sondaschule.“ Also sowas passiert nicht. Hier im Pott bleibt es eher beim ‚Hallo, wie geht’s.‘
Würden Sie abschließend sagen, dass die Sondaschule in den letzten 20 Jahren unbesiegbar geworden ist?
Ich hoffe doch sehr (lacht). Auf jeden Fall. Aber das Album ist auch deswegen unbesiegbar, weil ‘Blubbi’ darauf für immer zu hören ist. Das kann ihm keiner mehr nehmen. Wir als Band sind hoffentlich weiter unbesiegbar und hoffen auf die nächsten 20, 30, 40 Jahre Sondaschule, bis wir umfallen.
Die Sondaschule auf Tour in der Region
Unbesiegbar-Specials: 29.+30.4. Essen (Don’t Panic – Club-Konzert), 1.6 und 8.6. Oberhausen (Lichtburg – Kino-Screening).
Der Vorverkauf für die Konzerte in Essen und die Kino-Specials startet am Montag, 14.2. um 12 Uhr auf sondaschule.de
„Gute Zeiten“-Tour: 23.7. Gelsenkirchen (Amphitheater), 16.9. Köln (E-Werk), 23.9 Bielefeld (Forum), 1.10. Münster (Skaters Palace).
Tickets für die „Gute Zeiten“ – Tour gibt es ab ca. 36 Euro auf www.ruhrticket.de oder über die Homepage der Sondaschule.