Oberhausen. Musik und Akustik spielten eine tragende Rolle bei der Nacht der Industriekultur in Oberhausen. An einem Spielort gab es ein besonderes Echo.
Was hat das Revier nicht über Jahrzehnte ein eigener Soundtrack geprägt: Dröhnende Bohrer beim Kohleabbau. Ratternde Turbinen bei den Energieträgern. Und herausgeschriene Abstimmung zwischen den Kumpeln.
Kein Wunder also, dass die Akustik bei der Rückkehr der Extraschicht am Samstag eine besondere Rolle spielte. Vor allem der Gasometer, der mit seinen 117,5 Metern wie ein Leuchtturm über die Nacht der Ruhrindustrie wacht, ist in Oberhausen klangstarker Taktgeber. Die Percussion-Gruppe „Beats and Noises“ bietet außergewöhnlichen Ohrenschmaus.
Extraschicht Oberhausen: Kräftiger Hall schafft im Gasometer Musik
Die Zuhörer befinden sich im Gasometer-Inneren in einer Klangblase. Die Schlaginstrumente spielen unter der 20 Meter großen Erdkugel der aktuellen Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“ mit dem extremen Hall des 347.000 Kubikmeter großen Volumens.
„Die Extraschicht-Besucher erscheinen früh“, beobachtet Gasometer-Chefin Jeanette Schmitz. „Gleich zu Beginn bildete sich sogar eine kleine Warteschlange.“ Die gibt es später vor allem vor den Aufzügen zur Aussichtsplattform. Der Rest verteilt sich entspannter. Klar: Draußen setzt das JugendJazzOrchester NRW mit Big-Band-Sound auch den richtigen Kontrast.
„Lasst uns laufen, das schaffen wir schon“, ruft sich vor den Toren eine Familie den Wegweiser zur nächsten Station selber zu. „Wir möchten als nächstes die Ludwiggalerie ansteuern, weil unsere Kids dort malen können“, sagt Mutter Janine. „Eigentlich kommen wir aus Bochum, haben Oberhausen bei der Extraschicht bislang noch nicht ausprobiert.“
Am Schloss Oberhausen teilen sie die fotografische Werkschau von Linda McCartney in hörbare und sichtbare Etappen auf. Der Discjockey Ruud van Laar legt Musik aus den 1960er-Jahren auf. Und ein komplett bunt angepinseltes VW Golf 1 Cabrio aus dem Jahr 1993 parkt wie eine Flower-Power-Bank am Hofrand.
„Lindas Sunprint-Blue erfreut sich bei den Kindern großer Beliebtheit“, berichtet Caroline Tillmann-Schumacher von der Ludwiggalerie. Die Kunstform durch den Lichteinfall auf Fotopapier funktioniert ganz ohne Kamera. Und die blauen Karten rahmen bereits früh den Fußbogen des Innenhofes.
Extraschicht Oberhausen: Am Schloss strahlt eine große Collage
Die Techniker bauen unterdessen Lichtprojektoren auf, die das Schloss zur Konrad-Adenauer-Allee beim Einsetzen der Dämmerung in eine beeindruckende Collage aus Schriften und Formen tauchen. Lichtkünstler vereinen Ausstellung, Malschule und ein Zeichen für den Frieden in der Ukraine.
Die Malschule lässt kleine Künstler werkeln. Und beim Stockbrot, tatsächlich eine Schloss-Spezialität zur Extraschicht, speisen. Der Besuch ist ordentlich, die Stimmung locker. Mit dem Bus-Shuttle geht es weiter zu anderen Spielorten. Der Transfer klappt hier recht problemlos. Auch weil Gäste manchmal in die früher fahrenden Linienbusse einsteigen.
Am Zentrum Altenberg müsste der urbane Klang der Arbeiter eigentlich noch schallen - schließlich wird das Rheinische Industriemuseum aufwendig saniert. Doch die Macher haben das große Werkeln zum Teil der Extraschicht transformiert. Über einen kleinen Nebeneingang schreiten viele Besucher in den Hof und fragen direkt nach der Baustellenführung.
Die ehemalige Zinkfabrik ist in den Museumsräumen bis auf den bulligen Dampfhammer komplett leergezogen. Ein beeindruckendes Areal. Vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Ecken bald mit neuen Inhalten gefüllt werden können. „Die Besucher sind einfach neugierig wie es momentan aussieht und bald aussehen wird“, sagt Ingrid Trocka-Hülsken vom LVR-Industriemuseum. Die benachbarte Disco ist dagegen wie immer geöffnet - und lockt am späteren Abend das junge Partyvolk an.
Extraschicht Oberhausen: Niebuhrg verwischt akustisch die Stadtgrenze
Die Baustelle frisst auf dem Altenberger Hof natürlich Platz für große Sprünge. Kunst gibt es trotzdem. Britta L.QL setzt mit ihren Skulpturen den arbeitenden Frauen im Ruhrgebiet ein Denkmal. Hinter ihren weißen Körper-Silhuetten lassen sich bestens Foto-Montagen umsetzen. Das wird von den Besuchern auch genutzt. Madonnen über Tage!
Ansonsten: Musik, Musik, Musik. Die Gruppe The Cool Cats mischt Swing, Pop, Rock’n’Roll - und trägt gleich noch passende Mode auf. Sehenswert! Zsuzsa Debre und ihr Orchester setzen mit ungarischer Klangküche den Kontrast.
Überhaupt setzt die Extraschicht auf Gegensätze. Am Hauptbahnhof staunen die Besucher über ein rollendes Piano, das den Vorplatz in eine Klangwolke hüllt - und bei Selfie-Jägern zum interessanten Beute-Objekt wird.
Das Theater an der Niebuhrg bietet an der Stadtgrenze von Oberhausen und Duisburg schon geografisch den Brückenschlag zur nächsten Extraschicht-Stadt. Allein die unermüdliche Musik-Maloche dürfte die Stadtgrenze verwischt und auf das alte Zechengelände gelockt haben.
Regie-Genie Stanley Kubrick hätte an der Gitarren-Band „Rockwerk Orange“ wohl seine Freude gehabt. Was nicht nur am Rock-Gewand, sondern auch an den Farbspielen rund um das historische Gebäude liegen könnte. Dazu: Weitere Bands, spazierende Walking-Acts - eine Niebuhrg wie sie schallt und lacht.
>>> Viele Extraschicht-Besucher wollen wiederkommen
An Bushaltstellen gingen auswärtige Besucher in Oberhausen direkt in die Analyse: „Viel gesehen, aber nicht alles. Wir kommen wieder!“ Die Extraschicht hat damit ihr Ziel erreicht. Das Gezeigte sollte auch als Appetit-Happen für die Kultureinrichtungen dienen.
Die Extraschicht führte am Samstag nach zwei Jahren Corona-Zwangspause wieder 43 Spielorte in 23 Städten sowie 2000 Künstlerinnen und Künstler zusammen.