Oberhausen. „Wetterleuchten“ von Simone Dede Ayivi vereint die Stimmen der Könner hinter der Bühne mit tanzender Technik und einem charmanten Scheinwerfer.
Wie gefährlich ist Bühnenregen für einen vier Meter hohen oder höheren Lautsprecherturm? Lässt sich ein kleiner Schneesturm hinterher besser aufsaugen oder zusammenfegen? Und wie überzeugend ist der kokette Augenaufschlag eines sprechenden Scheinwerfers? Fragen, die sich vielleicht die wenigsten Theater-Abonnenten gestellt hätten, beantwortet „Wetterleuchten“: jene höchst charmante Technikshow, die das Große Haus in Oberhausen an vorerst nur zwei Abenden auffährt – ehe ausgerechnet die zeitgemäße Nachrüstung der Lichttechnik ihren Tribut fordert.
Für die nächste große Produktion, „Transit“ nach Anna Seghers Exilroman, wird die Probebühne im Buschhausener Gewerbegebiet wieder zum Schauspielhaus. Dort und im 102-jährigen Theater am Will-Quadflieg-Platz entstanden auch einige der Filmbilder und langen Kamerafahrten, die das Labyrinthische dieses Begegnungsortes für so viele ganz unterschiedliche Berufe eindrücklich machten: von jenem gemauerten Säulenwald, der den Unterbau der Drehbühne trägt, bis zur digitalen Anzeigenfülle jenes Regiepultes, das nicht umsonst „Stellwerk“ heißt. Mit „Wetterleuchten“ vermittelt Simone Dede Ayivi als Autorin und Regisseurin überzeugend jenes Staunen aus leuchtenden Augen, das sie wohl selbst erlebte, als sie wochenlang mit Kamera und Tonband alle Abteilungen des Hauses durchforschte.
Ihre Arbeit ist eine liebevolle und liebenswürdige Hommage an die Theatermenschen von der Pförtnerloge bis zur Garderobe – vor allem aber an die vielen technischen Berufe, deren Macher so ins Gelingen verliebt sind, dass sie sogar einem kleinen Scheinwerfer bemerkenswerte Starqualitäten einhauchen können: „Kay“ führt mit dem etwas tapsigen Charme von „R2-D2“ (aber einer weit verständlicheren Stimme als der piepsende „Star Wars“-Liebling) durch die Show: „Macht euch keine Sorgen“, tröstet der Charmeur auf Rollen, „ich habe auch manchmal Angst im Dunkeln. Aber dann fällt mir wieder ein, dass ich ja selber das Licht bin.“
Darf’s etwas Mondschein sein?
Natürlich, Licht ist schon der halbe Zauber unter dem so hohen wie tiefschwarzen Bühnenturm: Darf’s etwas Mondschein sein? Ein übermannshoher Spiegel leuchtet faszinierend lunar. Oder flirrende Polarlichter? Prompt flattern sie wie Fahnen aus Licht durch den dunklen Raum. Zwischen diesen Staune-Momenten werden die Künstler mit den technischen und handwerklichen Berufen zwar nicht sicht-, aber hörbar. Die aus langen Gesprächen oder kurzen Dialogen komponierte Stimmen-Collage erdet diese Produktion ohne Schauspiel-Ensemble – und nimmt dem Theater doch kein bisschen von seinem Zauber.
Ganz im Gegenteil. „Theater riecht auch immer ein bisschen nach Puder“ – und man meint, es schnuppern zu können. Doch der Chef der Maskenbildnerei sagt auch, wie wichtig ihm das Haus ist als „’ne Gesellschaft, die so divers ist und tolerant, es auch schon vor 37 Jahren war“: Es sei der Ort gewesen, zu dem er sich „flüchten“ konnte. Der oder die kleine Kay formulierte es mit kreiselndem Lichtkegel so: Theater lasse einen nie im Regen stehen – selbst wenn es stürmt und tost. Und natürlich quollen gewaltige Bühnennebelwolken, donnerte es aus den Lautsprechern. Schließlich heißt die Show „Wetterleuchten“.
Auch die Zumutungen der Bühnen-Berufe
Wer sich dabei fragt: „Was soll’s?“ Solchen Effektezauber bringt doch heute jeder Rockstar mit in die Arenen. Tja, der hat eben noch keine beschwingte „La Ola“-Welle aus auf- und abtauchenden Scheinwerferbrücken bestaunt. Oder zu harten Beats beim Tanz der bunten Neonstäbe mitgewippt. Die Botschaft in Bildern war so nachdrücklich wie jene in Worten: „Es ist uns wirklich eine Freude.“ Dabei erzählte Simone Dede Ayivis Stimmen-Collage auch unumwunden von den Zumutungen der Bühnen-Berufe, lässt sie auch erahnen, dass beim Zusammenraufen von Regieteam und Technik mal die Betonung zu den letzten Silben verrutschen kann.
„Ich betrete die Welt der Bekloppten“ ist eins dieser knackigen Zitate – mit dem tief empfundenen Nachsatz: „Und wenn ich abends rausgehe, bin ich immer noch bekloppt.“ Zum Klimperklang einer Spieluhr stöbert der Kunstschnee, lässt diese Inszenierung erneut für einen Moment an Peter Handkes wortloses Welttheater in der „Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ denken.
Nach draußen und „im Regen knutschen“
Der kunstfertigste Technik-Trick bleibt vielleicht doch jenes zarte Wimpernklimpern eines Scheinwerfer-Auges, mit dem Kay das Publikum aus dem „Wetterleuchten“ hinausschickt in einen Frühjahrsguss: „Dann könntet ihr ja vielleicht die Gelegenheit nutzen und im Regen knutschen.“ Auf dem Gazevorhang verbeugen sich die menschlichen Silhouetten, dann die Scheinwerfer-Phalanx – und schließlich auch, zum hochverdienten Applaus, das Team aus Regie und Technik.
Theater lädt kostenlos ein zu „Wetterleuchten“
Zur letzten Vorstellung von „Wetterleuchten“ am Samstag, 9. April, um 19.30 Uhr, lädt das Theater einmalig kostenfrei ein, um gemeinsam den Abschied (für diese Spielzeit) von der Großen Bühne zu feiern. Gratis-Einlasskarten gibt’s online unter theater-oberhausen.de oder an der Abendkasse. Es gilt 3G und Maskenpflicht.
Eine leise Hoffnung hegt Regisseurin Simone Dede Ayivi für die Spielzeit 2022/’23: Als neue Intendantin könnte Kathrin Mädler „Wetterleuchten“ übernehmen, denn die Technikshow wäre unabhängig von Umbesetzungen im Ensemble.