Oberhausen. Die große Hilfsbereitschaft für die Menschen aus dem Kriegsgebiet in Osteuropa ist allgegenwärtig. Es gibt jedoch auch andere Schutzsuchende.
Blau-gelbe Fahnen, wohin man schaut. Hilfstransporte. Ehrenamtliche. Spendensammlungen. Und jetzt noch eine Wohnungsbörse der Stadt. Die Hilfsbereitschaft für Geflüchtete aus der Ukraine überwältigt – wirft aber auch Fragen auf. Zum Beispiel bei jenen, die sich seit 2014 um syrische Flüchtlinge kümmern. Die Schutzsuchenden aus Afghanistan helfen oder für ein Bleiberecht von gut integrierten Familien aus dem Kosovo kämpfen. Sie trauen sich nicht, laut zu sagen, dass manches Mal mit zweierlei Maß gemessen wird. Doch blutet ihnen das Herz. Ein Besuch in einer Flüchtlingsunterkunft zeigt: Auch hier sind die Neuankömmlinge Thema. Jedoch ganz anders, als gedacht.
Die Frühlingssonne erwärmt die Holzbänke im Außenbereich des Wohnkomplexes an der Duisburger Straße 221. In den hellen, zweigeschossigen Gebäuden sind zurzeit 208 Menschen aus vielen Ländern der Welt untergebracht. Die städtische Flüchtlingsunterkunft, 2016 errichtet, ist auch das vorläufige Zuhause der Familie Al Barznji. Dlshad und Dlsoz, beide 43 Jahre alt, sind mit ihren zwei Kindern aus dem Irak gekommen. Als Architekt und Lehrerin lebten die Kurden in ihrer Heimat einst ein gutes Mittelschichts-Leben. Was es ihnen umso schwerer macht, in Deutschland von null beginnen zu müssen.
Kein Status, keine Träume
„Wir wollen arbeiten“, sagt Dlshad Al Barznji. „Wir wollen keine Hilfe in Anspruch nehmen. Das Geld könnte anderen Menschen zugutekommen.“ Doch ganz so einfach wird das mit dem selbstständigen Leben für die Familie nicht funktionieren, das hat der Familienvater in den wenigen Monaten, die er in der Fremde ist, schon erkannt. Das größte Problem sei, neben der deutschen Sprache, die Aufenthaltsgenehmigung. „Ohne die“, sagt er, „kann ich nichts machen, kann von nichts träumen.“
Zum allerersten Mal haben die EU-Innenminister einen Beschluss zur Anwendung der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie getroffen. Damit erhalten alle Geflüchteten aus der Ukraine einen Aufenthaltstitel, ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Sie haben in der Folge europaweit Zugang zu Arbeit, Bildung sowie Sozialleistungen und medizinischer Versorgung. „Manchmal kann man das alles nicht verstehen“, sagt Markus Sieverdingbeck, der als Sozialpädagoge des DRK in der Flüchtlingsunterkunft an der Duisburger Straße arbeitet. Die Bürokratie in Sachen Aufenthaltsrecht sei kompliziert und auch in der Vergangenheit sei bei ähnlichen Fällen manchmal völlig unterschiedlich entschieden worden.
Mitgefühl mit den Neuankömmlingen
Jörg Fischer, Abteilungsleiter für Wohlfahrt und Sozialarbeit beim DRK Oberhausen, erlebt große Unterschiede der aktuellen Fluchtmigration zur vorherigen: „Die Ukrainer kommen mit gezielten Fragen: Wo kann ich mich melden, wie kann ich mein Studium fortsetzen? Eltern fragen nach Schulen für ihre Kinder.“ Auch wollten viele wissen, ob die Versicherung für ihr Auto im Schadensfall greift. Fischer: „Solche Fragen gab es 2014/2015 nicht.“
Dlshad Al Barznji hat andere Probleme. Er blickt mit ernstem Blick vor sich hin, nimmt einen Schluck Kaffee. Seine Frau ist mit einem Tablett voller Tassen, heißem Wasser in der Kanne und Instant-Pulver-Päckchen für die Gäste heruntergekommen. „Es ist ein schlechtes Gefühl, jetzt wieder überall von Krieg zu hören“, sagt Al Barznji. „Ich habe Angst, wenn ich höre, dass er auch hierhin kommen könnte. Wir haben das mehrere Jahre erlebt, haben Bomben fallen sehen. Wir dachten, das sei nun vorbei.“ Seine Befürchtungen teile er mit allen anderen in der Unterkunft. Niemand wolle dies noch einmal erleben. Und wenn er die Ukrainer jetzt sehe, dann fühle er mit ihnen. Dass sie bei ihrer Ankunft in Deutschland eine „Spezialbehandlung“ bekommen, wie er es nennt, sei doch verständlich.
Ein vergessener Krieg
Salman Alaayed, 33 Jahre alt und 2015 aus Syrien zunächst in die Türkei, dann nach Deutschland geflüchtet, übersetzt die Worte der Al Barznjis an diesem Morgen für die Reporterin. Die arabische Sprache teilen sie ebenso wie die Erfahrung des Krieges. Auch Alaayed fürchtet sich vor dem Gedanken, der Krieg in Europa könne seine neue Heimat treffen. Gerade war er mit seinem Studium der Englischen Literatur fertig, als das Leben in seiner Heimat unerträglich wurde. In Deutschland musste er komplett neu anfangen, ohne seine Familie. Heute arbeitet er fürs DRK. Dafür, dass heute vieles besser funktioniert als zur Zeit seiner Einreise, zeigt er Verständnis: „Wir waren so viele auf einmal. Vieles war nicht vorbereitet.“ Doch er spürt auch: „Die Ukraine ist hier. Syrien ist weit weg. Unser Krieg war schon in Vergessenheit geraten, bevor die Ukraine überfallen wurde.“
Die Geflüchteten selbst scheinen nicht erbost über mögliche Ungleichbehandlungen. Vielleicht sind sie so sehr mit ihren eigenen Dramen beschäftigt, dass sie es noch gar nicht wahrgenommen haben. Vielleicht wollen sie auch nicht als undankbar gelten, weil ihnen ja auch Hilfe zuteilwurde. Fragt man jedoch Berater, die Schutzsuchenden in den vergangenen Jahren zur Seite standen, hört man teils bittere Enttäuschung.
Frust und Verständnis
„Die Ukrainer bekommen das Plus-Paket“, sagt Jan Scholzen, Flüchtlingsberater im Zentrum für Ausbildung und berufliche Qualifikation (ZAQ). Ein Aufenthaltsrecht ohne Asylverfahren, eine Arbeitserlaubnis, die Zulassung zum Integrationskurs, freie Fahrt im VRR – dies sei alles lobenswert, jedoch auch „schwierig“ mit Blick auf andere. „Das ist eine politische Nummer“, sagt er, „so ein Schubladending.“
Es sei schwierig, das auszudrücken, was sie denke, „ohne in eine komische Ecke zu kommen“, sagt Juliane Dietze vom Flüchtlingsrat Oberhausen. Der große Aufwand für die vom Krieg gebeutelten Menschen aus der Ukraine sei völlig gerechtfertigt – „Ich gönne denen das von Herzen“ – und doch habe sie das Gefühl, dass es irgendwie anders läuft als zuvor. Da ist der junge Mann, dessen Bruder für die Nato in Afghanistan gearbeitet hat und der immer noch in dem Land festsitzt. Oder die syrische Familie, die seit zwei Jahren vergeblich nach einer Wohnung sucht. „Mal ist dem Amt die Wohnung zehn Quadratmeter zu groß, mal ist sie 20 Euro zu teuer“, sagt Juliane Dietze. Da sei es schon bitter von den großzügigen Angeboten zu lesen, die jetzt für Ukrainerinnen und Ukrainer auch von der Stadt gemacht werden.
„Auf einmal geht alles“, sagt auch Evelyn Meinhard vom Flüchtlingsreferat beim Evangelischen Kirchenkreis Oberhausen. Sie berichtet von einem Afghanen und seinem Kampf um einen Platz im Sprachkurs. Man sollte nun jedoch nicht die Geflüchteten in Konkurrenz zueinander bringen, sagt die erfahrene Beraterin: „Vielleicht ist das jetzt der Fahrtwind, von dem auch die anderen profitieren können.“ Es könne sein, dass sich nun für alle Schutzsuchenden in Deutschland die Bedingungen verbessern. Meinhard: „Da träume ich seit 30 Jahren von.“