Oberhausen. Wer im Geschäftsbericht der Osterfelder Wohnungsgenossenschaft in Oberhausen nur trockene Zahlen erwartet, der wird wahrscheinlich überrascht.

Normalerweise sind Geschäftsberichte ein Ort der Langeweile. Seitenlange Tabellen, Zahlen, Daten, Fakten. Umso überraschender ist es, wenn in einem solchen Papier ein anderer Tonfall herrscht – wie im Geschäftsbericht für das Jahr 2019 der Osterfelder Wohnungsgenossenschaft (Ge-Wo), auf den uns ein Leser aufmerksam gemacht hat. Dort ist etwa von der jungen schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg als eine von „Kindern als Heilige verehrte (...) Untergangsprophetin“ die Rede. Und die Pandemie sei „weitaus weniger tödlich (...) als eine handelsübliche Grippe oder Fischgrätenkonsum“.

Diese zumindest erstaunlichen Einschätzungen einer Wohnungsbau-Geschäftsführung sind nicht im kleinen privaten Kreis gefallen, sondern stehen hochoffiziell schwarz auf weiß in den einleitenden Textpassagen des insgesamt 43 Seiten umfassenden Werkes zur Ge-Wo-Bilanz 2019. Unser Leser sieht in solchen Meinungsäußerungen politische Hetze, Provokation und Hasspropaganda. Vermutet sogar eine Nähe zu den sogenannten Querdenkern.

Fragt man danach Ge-Wo-Vorstand Wolfgang Hoffmann, dann distanziert sich dieser deutlich: Wir wehren „uns entschieden gegen die Unterstellung der AfD-/Querdenker-Nähe“, schreibt er. „Solches Geschwurbel ist nicht die Haltung der Ge-Wo Osterfelder Wohnungsgenossenschaft eG.“

Zeilen zur Corona-Pandemie sind im Januar 2020 entstanden

Zu der zitierten Einschätzung der Corona-Pandemie als vergleichsweise harmlos räumt Hoffmann ein: „Wir lagen falsch, ebenso wie viele andere Politiker, Journalisten und Experten.“ Die entsprechenden Zeilen seien im Januar des Jahres 2020 entstanden, also bevor offiziell von einer Pandemie die Rede war. Veröffentlicht wurde der Bericht im März. „Heute wissen wir alle mehr über das gefährliche Virus. Wenn man mit dem Wissen von heute auf die Texte der Vergangenheit schaut, kann man sie natürlich leicht missverstehen.“

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Aber wer ist denn nun konkret der Autor dieser ungewöhnlichen Texte? Diese Frage ließ Hoffmann in seiner Antwort-Mail offen. Und auch zu vielen anderen Textpassagen möchte der Ge-Wo-Vorstand sich nicht äußern. Etwa hierzu: „Mit der Hyperventilation geht ein fataler Hang zur Verbots- und Umerziehungskultur einher. Böller nerven? Verbieten. Vermieter beuten aus? Enteignen. Ein Prozent Superreiche? Erschießen! Nein, lieber zu nützlicher Arbeit heranziehen (...). Ähnlich wie bei religiösen Fanatikern bestimmen säkulare Sündenfreie für sich eine universelle Deutungshoheit, deklamierende politisch aktive Gruppen, was richtig und falsch ist, und instrumentalisieren den Staat als Organ des Vollzugs ihrer auserwählten Moral.“

Ge-Wo-Vorstand: Eine Frage des Stils und Geschmacks

Es sei durchaus üblich, dass Geschäftsberichte mit einer Einordnung des Geschäftsjahres in den Kontext der Zeit beginnen, erklärt Wolfgang Hoffmann. „Seit nunmehr zwanzig Jahren nehmen wir uns die Freiheit, in diesem Teil einen satirisch überspitzten Rückblick auf das vergangene Jahr zu geben.“ Innerhalb der Beschreibung der Rahmenbedingungen des jeweiligen Jahres – im Fall des Geschäftsberichts für 2019 immerhin sieben Seiten – äußere sich die Wohnungsgenossenschaft jedes Jahr zu den unterschiedlichsten Themen, „die unsere Mitarbeiter und Wohnungsnutzer beschäftigen.“ Beispielsweise die Fußballweltmeisterschaft, Donald Trumps Präsidentschaft oder vegane Ernährung. „Hat manche Pointe den Bogen überspannt? Vielleicht. Hat sich jemals jemand daran gestört? Nein, nicht ein einziges Mal.“

Ge-Wo-Vorstand Wolfgang Hoffmann (2. v. r.) mit Vertretern von Stadt und Evo bei einer Presseveranstaltung zur „Innovation City“ im Jahr 2019.
Ge-Wo-Vorstand Wolfgang Hoffmann (2. v. r.) mit Vertretern von Stadt und Evo bei einer Presseveranstaltung zur „Innovation City“ im Jahr 2019. © Funke Foto Services GmbH | Kerstin Bögeholz

Ob Ausführungen dieser Art in einem Geschäftsbericht gut aufgehoben sind, darüber könne man sich streiten. Es sei „eine Frage des Stils und Geschmacks“, findet Hoffmann und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass immerhin der Großteil der Veröffentlichung aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht besteht. „Unsere Geschäftsberichte sind in dieser Hinsicht so nüchtern, sachlich und stimmig, wie es der Gesetzgeber für eine solche Publikation verlangt.“ Er sei nicht damit einverstanden, „aus einer pointierten Einleitung zu schließen, der gesamte Geschäftsbericht sei politisch einseitig ausgerichtet und nicht nüchtern und sachlich“.

Die Ge-Wo eine Investorenheuschrecke?

Auf den sieben Seiten Einleitung äußert sich der Autor des Geschäftsberichts erst auf der vierten Seite erstmals zu einem immobilienwirtschaftlichen Thema (dem Brand der Notre Dame de Paris). Weiter geht es mit Ausführungen zum Mietendeckel („Wer Wohnraum schafft und Menschen ein Zuhause gibt, wird mit Mietpreisbremsen und Mietendeckeln bestraft, während die Kosten, die er aufzuwenden hat, immer weiter steigen.“) und zu Modernisierungskosten („Als vergiftetes Sahnehäubchen ist unter gewissen Umständen der Vermieter genötigt, unaufgefordert Auskunft über die für die Wohnung vereinbarte vorherige Miethöhe geben zu müssen.“)

Aus Aussagen wie diesen liest unser Leser „den Geist einer Investorenheuschrecke“ heraus anstatt den einer Genossenschaft. Außerdem werde gegen den Mieterschutz polemisiert. Wolfgang Hoffmann widerspricht. Als Genossenschaft führe die Ge-Wo keine Gewinne an Investoren ab. „Sie beabsichtigt keine Gewinnerzielung, sondern zielt darauf, den Mietern ein preisgünstiges Wohnangebot zu machen.“ Jährlich gebe die Ge-Wo im Schnitt acht Millionen Euro für Instandhaltung und Modernisierung aus – ohne, dass es zu einer dadurch bedingten Mieterhöhung komme. Ohnehin läge die Durchschnittsmiete unter dem Niveau von Sozialwohnungen. „Das Heuschreckenhafte an unserem Wesen kann ich nicht erkennen.“

Die einleitenden Worte schließen ab mit dem Blick auf Silvester 2019, welches „mit traditionellem Feuerwerk“ endete, „obwohl sich die sogenannte Deutsche Umwelthilfe erfolglos sektiererisch mühte, das zu unterbinden“. Dass es sich nicht um einen typischen Geschäftsbericht handelt, wird auch hier offenbar. Und in gewissem Sinne kündigt die Osterfelder Wohnungsgenossenschaft das sogar selbst auf dem Titelblatt an. Dort steht: „Für gewöhnlich ungewöhnlich“.

Die Ge-Wo in Oberhausen

Die Osterfelder Wohnungsgenossenschaft (Ge-Wo) wurde im Jahr 1904 gegründet. Sie ist mit rund 4500 Wohnungen in Oberhausen, Essen, Mülheim und Bottrop die größte Wohnungsgenossenschaft in Oberhausen.

Durch lebenslanges Wohnrecht profitieren die Mitglieder von der Genossenschaft. Weitere Informationen zur Ge-Wo gibt es im Internet auf www.osterfelder.de.