Oberhausen. Für die Stuckateure ist die Arbeit am expressionistischen Deckenrelief im Oberhausener Rathaus bereits ein Referenzprojekt.
Es ist ein Bücken und Wiederaufrichten: Wer sich im Sitzungssaal des Rathauses vorsichtig auf der Arbeitsplattform der Stuckateure bewegt, nimmt erst wahr, welche monumentale Tiefe das Stuckrelief an der Decke aufweist. Der expressionistische Dekor aus rhythmisch variierten Kuben ist eben ganz auf die Wirkung „von unten“ ausgelegt. Während des gesamten nächsten Jahres wird das Herzstück des politischen Lebens der Stadt eine Baustelle bleiben – um 2022 im Glanz und Look von 1930 aufzuerstehen.
Dafür darf es selbst während der Weihnachtszeit keine längere Pause geben. „Wir müssen jeden Tag nutzen“, sagt OGM-Geschäftsführer Horst Kalthoff, „damit wir die 14 Monate Bauzeit einhalten“. So verlangen es die Förderbedingungen. Allerdings waren in der Vorwoche selbst die Gäste von der Bezirksregierung offensichtlich beeindruckt vom Blick auf die einzigartig frühmodernistische Stuckdecke: Sie hatten Denkmalschützer Andreas von Scheven signalisiert, „bei zusätzlichem Bedarf“ die denkmalgerechte Wiederherstellung des Saales weiter zu fördern.
Für die Stuckateure von „Stuck und Natur“ ist das 90 Jahre alte Kunsthandwerk unter ihren Händen längst ein Referenzprojekt: Den „sehr angegriffenen Zustand“ des jahrzehntelang unter einer abgehängten Decke verborgenen Stucks dokumentieren die Iserlohner ebenso auf ihrer Webseite wie die Baufortschritte. Zu 70 Prozent sei der originale Deckenschmuck erhalten, sagt Andreas von Scheven. Deren einstiger Glanz sei „sehr festlich“ gewesen, „mehrfarbig und belegt mit Altsilber“ – eine Huldigung an die Demokratie.
Ein Erker für Bürger-Fragen an die Politiker
Der Denkmalschützer verweist auf historische Fotos aus dem Saal mit Blick auf die Publikums-Tribüne: Sie zeigen einen kleinen Erker, in den Bürger vortreten konnten, um Fragen an die Politiker zu stellen. „Hoch demokratisch“, betont von Scheven.
Das nicht zur Ausstattungspracht von 1930 passende, jüngere Wandfries des Oberhauseners Walter Mawick soll als nächster Schritt der Arbeiten – die von der Deckenhöhe nach unten fortschreiten – abgenommen werden. Die Veränderungen aus den 1950er Jahren seien „nicht denkmalwert“, erklärt von Scheven. „Das gibt uns Freiheiten.“ Allerdings werde man sich große Mühe geben, den Mawick-Fries zu erhalten, der einst auf Gipskarton-Platten angebracht wurde. „Dieses Werk soll nicht untergehen“ – obwohl noch offen ist, in welchem städtischen Gebäude diese stilisierte Stadtsilhouette in Zukunft repräsentieren darf. Beim Mawick-Mosaik an der alten Sterkrader Bibliothek hatte ein „Rettungsversuch“ eher Empörung ausgelöst.
Beglückt zeigt sich der Denkmalschützer indes über das Engagement der Glaskünstlerin Christine Triebsch, Professorin an der Kunsthochschule Halle. Ihr wohl berühmtestes Werk ist die Wiederherstellung der vom Bottroper Bauhaus-Meister Josef Albers gestalteten Fenster im Leipziger Grassi-Museum, ebenfalls eine Arbeit mit ausgeprägter „Art déco“-Note. „Wir kennen die Gestaltung der Ratssaal-Fenster von alten Fotos“, erklärt Andreas von Scheven – allerdings nicht deren Farbigkeit. Doch da vertraut er ganz der Expertise der renommierten Glaskünstlerin: „Sie wird im Kontext von 1930 arbeiten.“
Übrigens mildern farbige Fenster auch das bisher berüchtigte Ratssaal-Klima – und damit ist nicht die Hitze der Debatten gemeint. In seiner Ur-Version hatte der Saal bereits eine Belüftung besessen. „Heute können wir diese Schächte nutzen.“ Von Scheven nennt’s „einen großen Vorteil“.
Kein Zurück zur „Klassenzimmer“-Sitzordnung
Nur mit einem Element aus der Ära von Rathaus-Architekt Ludwig Freitag wollten sich die Politiker partout nicht anfreunden: und zwar mit der auf alten Fotos dokumentierten „Klassenzimmer“-Sitzordnung. Sie wird stattdessen so bleiben, wie aus den letzten Sitzungsperioden vertraut – allerdings auf modernem Mobiliar, das farblich dem restaurierten Glanz von Decke und Fenstern entsprechen wird.