Oberhausen. Klimaschutz spielt künftig in Oberhausen eine stärkere Rolle: Jeder politische Beschluss soll im Vorfeld auf seine Klima-Folgen geprüft werden.

Wenn künftig Oberhausener Lokalpolitiker über Bauprojekte, Modernisierungen von Schulen oder Bepflanzungen von Dächern entscheiden, dann werden sie auf einen Blick erkennen können, wie sehr das Projekt das Weltklima noch mehr aufheizt oder besonders schonend behandelt. Müssten etwa für eine Verlängerung der Straßenbahnlinie 105 halbe Parkflächen mit alten Bäumen abgeholzt werden, dann erfahren die Politiker schon von der Stadtverwaltung im Beschlussvorschlag, wie viel Kohlendioxid die neue Nahverkehrslinie zum Centro einspart, aber auch wie viel weniger Kohlendioxid durch den dann kleineren Park aufgesaugt werden kann.

Solche konkreten Auswirkungen hat die erfolgreiche Initiative von SPD und CDU im Stadtrat: Künftig sollen die Beschlusspapiere des Rathauses für die Politik neben den Finanz-Folgen auch die Klima-Folgen enthalten. Die Fachleute der Stadt sollen nun aber zunächst einmal in Deutschland erforschen, wie vorbildliche Klima-Städte (Osnabrück) die Klima-Folgen abschätzen: Welche Kriterien spielen eine Rolle? Wie groß ist der Aufwand? Wie viel Personal wird benötigt? Die Mehrheit des Rates nickte dies am Montag ab; die Grünen, Linken und AfD stimmten aus verschiedenen Gründen dagegen.

Mit vielen Corona-Sicherheitsregeln im Saal Berlin der Luise-Albertz-Halle tagte der im September 2020 gewählte Oberhausener Stadtrat erst zum zweiten Mal in seiner Amtszeit mit voller Besetzung – in der Corona-Hochzeit hatte der kleinere Hauptausschuss die Entscheidungsbefugnisse des Stadtrates erhalten.
Mit vielen Corona-Sicherheitsregeln im Saal Berlin der Luise-Albertz-Halle tagte der im September 2020 gewählte Oberhausener Stadtrat erst zum zweiten Mal in seiner Amtszeit mit voller Besetzung – in der Corona-Hochzeit hatte der kleinere Hauptausschuss die Entscheidungsbefugnisse des Stadtrates erhalten. © WAZ | mape

So ändern sich die Zeiten: Noch im September 2019 hatte ein Bürgerantrag der Oberhausener Klimaaktivisten von „Fridays for Future“ und „Parents for Future“ mit ähnlicher Stoßrichtung keinen Mehrheitserfolg. Unter jedem Beschluss sollte auf die Frage „Hat die Entscheidung Auswirkungen auf das Klima?“ verpflichtend eine Auswahl von Kästchen zum Ankreuzen gedruckt werden: „Ja, positiv“, „Ja, negativ“ oder „Nein“. Bei „Ja“ sollte die Stadtverwaltung die Klimafolgen ausführlich darstellen. Damals lobte die Mehrheit von SPD, CDU, FDP und BOB die Stadt Oberhausen, man setze sich bereits sehr stark für den Klimaschutz ein, zudem sollen doch ohnehin künftig bei allen Entscheidungen die Folgen fürs Klima berücksichtigt werden. Gerade die SPD warnte damals vor dem extremen Mehraufwand für die ohnehin belasteten Stadtbediensteten. Deshalb benötige man diese Kästchen nicht.

SPD: Klimawandel bei allen Beschlüssen mitdenken

Knapp zwei Jahre später hat nicht nur SPD-Umweltpolitiker Manfred Flore bemerkt, dass die Klimarelevanz doch nicht so konsequent geprüft wird. „Deshalb wollen wir die Stadtverwaltung verpflichten, bei allen Beschlüssen den Klimawandel mitzudenken.“ So viel Arbeit sei das Ganze gar nicht, da 60 Prozent der etwa 1000 bis 1300 Beschlüsse in einem Ratsjahr ohnehin keine Folgen fürs Klima hätten.

Klima-Beschlüsse seit vielen Jahren

Die Oberhausener CDU-Ratsfraktion legte in dem von ihr erweiterten Antrag der kurzen SPD-Version vor allem auch Wert darauf, festzustellen, dass Oberhausen schon viele Entscheidungen für den Klimaschutz getroffen hat: So gibt es eine Klimaschutzsiedlung (2014), es wurden Klimaschutzmanagerinnen eingestellt (2015), das Klima analysiert (2017) und Klimaschutzkonzepte erarbeitet (2016). Mit mehr Dachbegrünungen und Straßenbäumen soll der Grünanteil im Stadtgebiet erhöht werden.

Mit der Resolution „Oberhausener Bündnis für den Klimaschutz“ (Juli 2019) hat sich zudem die Stadt verpflichtet, bei allen Entscheidungen mögliche Auswirkungen auf das Klima sowie die ökologische, gesellschaftliche und ökonomische Nachhaltigkeit zu prüfen und zu berücksichtigen. Der Klimanotstand wurde im Gegensatz zu anderen Städten aber nicht ausgerufen.

Die Kehrtwende der SPD fand CDU-Fraktionsvorsitzende Simone-Tatjana Stehr heuchlerisch – das Ziel allerdings richtig. Die SPD sei getrieben aus Angst vor einem miesen Ergebnis der Bundestagswahl im September. „Die SPD ist auf der Suche nach Wählern. Sie will plötzlich grüner sein als die Grünen – nach dem Motto: Wer sind die grünsten im ganzen Land?“ Durch den am schwülen Sommertag tief gekühlten Klimaanlagen-Saal Berlin wehte plötzlich drei Monate vor der Bundestagswahl ein Hauch von Wahlkampf.

Aber die SPD ließ sich gar nicht erst beirren – und reagierte so cool wie wahrheitsgemäß: „Wir haben eine neue Fraktion und ein neues Meinungsbild. Deshalb sind weiterhin von uns Überraschungen zu erwarten“, meinte SPD-Fraktionsvize Silke Jacobs. Die SPD stimmte sogar dem CDU-Vorschlag zu, ihren eigenen textlich sehr kurz geratenen Klima-Prüfauftrag an die Stadtverwaltung mit ausführlicheren Worten zu konkretisieren. Und so gewann man die Mehrheit – und die Klimarelevanz wird irgendwann künftig bei allen notwendigen Beschlüssen mitgeprüft.