Oberhausen. Politiker und Fachleute setzen sich angeblich für den Klimaschutz ein – doch im Zweifel wird am Ende oft der Baum gefällt, auch gesunde. Warum?
Wenn Bäume gefällt werden, beunruhigt das immer mehr Bürger. Zuletzt mussten Bäume am Golfplatz Jacobi in Oberhausen-Osterfeld, an der Erlenstraße in Sterkrade und im Pantoffelpark in Buschhausen weichen. Die Bäume waren entweder krank, drohten umzustürzen oder standen dem Bau einer Lärmschutzwand im Weg.
Bei den Fällaktionen geht es aber immer häufiger auch um gesunde Bäume. Als Grund wird oft der Brandschutz angegeben: Die Feuerwehr könnte im Ernstfall an ein Gebäude nicht herankommen, heißt es dann. Dieses Vorgehen der Rathaus-Bediensteten hat kürzlich in der Bezirksvertretung Alt-Oberhausen zu Diskussionen geführt.
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Die Bezirkspolitiker müssen jeder Baumfällung – in der Regel als sogenannte Baumkommission nach Besichtigung vor Ort – extra zustimmen, wenn es um Bäume auf städtischen Grundstücken geht, auch vor Privathäusern.
Umstrittene Fällung eines Spitzahorns
Vor kurzem gab es zwei besondere Fälle, bei denen die Lokalpolitiker vor Ort hartnäckig versuchten, stattliche Bäume zu retten. Und daran ist zu sehen, wie schwer es fällt, gesunde Bäume vor der Axt zu bewahren – aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen.
Im September 2020 verweigerten die Bezirksvertreter in der Schillerstraße im Bismarckviertel die Fällung eines Spitzahorns. Dort sollten Dachgeschosse zu Wohnungen umgebaut werden, die die Feuerwehr aber wegen des Ahorns im Notfall kaum hätte erreichen können. Die Alternative zur Baumfällung war dem Bauherrn zu teuer: Der Anbau eines Balkons und der Ausstieg aufs Dach als alternative Rettungswege. Die Baumkommission der Politiker und Fachleute lehnten aber trotzdem die Fällung ab.
Überraschend sollten sie dann im März 2021 doch der Fällung zustimmen. Der Bauherr verzichtete lieber auf Balkon und Dachausstieg – er stellte noch einmal den Baumfällantrag. Seine Begründung: Die Feuerwehr habe ihm nun die Fällung aus Brandschutzgründen vorgeschrieben. Er müsse den Baum beseitigen, weil er sonst die Wohnungen nicht beziehen könne. Die Baumkommission stimmte daraufhin mit einer Stimme Mehrheit für die Baumfällung. Zum Tragen kam das Kommissionsurteil nicht, weil die Beamten in der Sitzung selbst die Beschlussvorlage aus unbekannten Gründen zurückzogen – und die Bezirksvertreter keine Entscheidung fällten.
In einem zweiten Fall machte an der Wilmsstraße in Lirich angeblich eine Linde das Anleitern für die Feuerwehr unmöglich. Dort wurden Wohnungen zu Ferienwohnungen umgebaut. Auch damit wurden die Bezirksvertreter zwei Mal behelligt. Die Politiker blieben wieder hartnäckig, um die Fällung der Linde zu verhindern. Am Ende schlug Baudezernent Frank Motschull vor, erst einmal zu versuchen, die Baumkrone zu beschneiden, um den Rettern im Ernstfall ihre Arbeit zu erleichtern.
Vorrang für Eigentum und Gesundheit
Die Bezirksvertreter beruhigte das nicht, weil die Hälfte der schönen Baumkrone weggeschnitten werden muss – Lebensgefahr für den Baum? „Gesunde Bäume fällen, das geht nicht mehr“, erklärte Margarete Therese Dresen (Grüne) den Einsatz der Politiker für den Naturschutz im dicht besiedelten Stadtgebiet. Es müsse möglich sein, das Bauen mit dem Erhalt der Bäume zu vereinbaren. Christiane Gerster-Schmidt (SPD) betonte, man könne von den Beamten künftig erwarten, in Baum-Fällen klarer informiert zu werden, um eine gute Entscheidung zu treffen. Detlef Peters (CDU) wunderte sich, welche Rolle die Feuerwehr immer wieder bei Baumfällungen spielt.
Frank Motschull, Chefjurist im Oberhausener Rathaus, beschrieb in der Bezirksvertretung, dass es auch rechtlich sehr schwierig ist, Straßenbäume zu retten. Wenn so ein Fall vor Gericht landen würde, hätte der Baumschutz keine Chance. Das Recht auf Eigentum am Haus und das auf körperliche Unversehrtheit seien wichtiger als jeder einzelne Baum.
Doch warum rückt die Feuerwehr mit ihren Brandschutzexperten so spät, also erst nach der Errichtung von Neubauten oder Anbauten an – statt vorher eine ausreichende Prüfung der Sicherheit von Hausbewohnern vorzunehmen?
Um leichter und schneller bauen zu können, dafür sind die bürokratischen Prozeduren seit einigen Jahren in ganz Deutschland vereinfacht worden – auch beim Brandschutz. Was früher galt, ist jetzt in der Regel abgeschafft: Dass ein Bauherr lange vorher seine Pläne im Rathaus einreichen muss, damit der Brandschutz geprüft wird, dass er erst loslegen darf, wenn er die amtliche Erlaubnis für den Bau hat und dass am Ende nach Fertigstellung des Baus ein Kontrolleur kommt, um sich umzusehen. Heute dagegen bleibt es dem Architekten und Bauherrn weitgehend alleine überlassen, wie mit Bäumen umgegangen wird.
Nehmen wir ein Einfamilienhaus in einer Neubausiedlung, für die ein Bebauungsplan aufgestellt wurde. Das ist eine große Karte, auf der eingezeichnet ist, wo genau die Häuser stehen, wie hoch sie sein dürfen und mit welchem Dach. Auch die Zufahrten sind eingezeichnet. Das ist vorgeschrieben – auch für die Löschfahrzeuge der Feuerwehr. Steht dabei ein Baum im Weg, darf er gefällt werden. Nur muss in Einfamilienhaus-Siedlungen selten gefällt werden, weil es dort genügt, wenn die Feuerwehr eine tragbare Leiter anstellen kann.
Bescheinigung vom Architekten genügt
Will nun jemand in einem Gebiet, für das ein solcher Bebauungsplan existiert, sein Eigenheim bauen, muss er zwar viele Papiere dazu vorher einreichen. Sie müssen aber im Rathaus nicht mehr wie früher ausdrücklich geprüft werden. Der Blick auf die Karte zeigt den Beamten ja, dass die Feuerwehr die neuen Häuser anfahren kann. Ansonsten genügt es, wenn der Architekt bescheinigt, dass sein Plan den Brandschutz berücksichtigt.
Feuerwehr kommt sehr spät ins Spiel
Die Oberhausener Feuerwehr kam zuletzt auch bei größeren Wohnhäusern ganz spät ins Spiel. So im Sommer 2019 an der Otto-Weddigen-Straße in Sterkrade, wo erst kurz vor dem Ausheben der Baugrube auffiel, dass ein 100 Jahre alter Ahorn im Rettungsfall ein Hindernis wäre.
Und an der Gutenbergstraße in der Oberhausener Innenstadt gab die Feuerwehr 2020 den Ausschlag dafür, an die dortige kleine Allee Hand anzulegen, als die Mehrfamilienhäuser bereits fertig waren.
Die Beamten hätten für eine ausführliche Prüfung auch gar nicht mehr die Zeit. Denn die Unterlagen müssen nach der Landesbauordnung erst einen Monat vor Baubeginn eingereicht sein. Reagiert die Behörde nicht, darf der Bauherr nach dieser Zeit schon loslegen.
Der Sachverständige steht dafür gerade
Anders geregelt ist der Bau oder Ausbau eines Wohnhauses von bis zu 13 Metern Höhe, also mit Fenstern über acht Metern Höhe. Dann muss es Platz für die Drehleiter der Feuerwehr geben. Aber auch das prüft in der Regel niemand mehr vom Amt, auch nicht die Feuerwehr selbst. Allerdings muss der Bauherr einen anerkannten Sachverständigen für Brandschutz beauftragen, der bescheinigt, dass der Platz für die Drehleiter ausreicht. Und die Fristen sind hier noch knapper: Nur eine Woche vor Baubeginn muss diese Bescheinigung vorliegen.
So kommt es, dass die Feuerwehr selbst mit ihrer sogenannten Brandschau nur bei ganz großen Gebäuden, bei Hochhäusern etwa, im Spiel ist. Dabei würden Bäume, die ihr den Weg versperren, wohl auffallen – dies allerdings auch wieder sehr spät. Denn die Brandschau muss erst mit dem Einzug der ersten Bewohner stattfinden.