Oberhausen. Wenn die Säge einmal kreist, dann scheint sie kaum zu stoppen zu sein: Zu viele Bäume sind zuletzt in Oberhausen gefällt worden. Ein Meinungsbeitrag.
Man muss nicht wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) plötzlich zum Baum-Umarmer werden, man muss nicht unbedingt Alexandras 68er-Chanson „Mein Freund der Baum“ zu seinem Lieblingslied erküren, um mit Anwohnern nach akuten Baumfällaktionen vor ihrer Haustür mitzufühlen: Wer jahrelang mit breiten Büschen und einer alten Buche auf der anderen Straßenseite aufgewachsen ist, blickt enttäuscht ins Nichts, wenn die Säge einmal angesetzt worden ist – die Heimat hat sich einschneidend verändert, das Heimatgefühl wurde verletzt. Bäume bedeuten Emotionen.
Doch Oberhausener spüren in den vergangenen Jahren nicht, dass Verantwortliche darauf irgendeine Rücksicht nehmen würden. Im Gegenteil: Ob Klimaschutz-Diskussionen, Verschönerungen von dicht bebauten Siedlungen, Mehr-Grün-in-die-Stadt-Gerede – wenn es um Bäume und Sträucher geht, dann hat man den Eindruck, dass der Leitspruch des Hauptdarstellers Detlev Quandt als Bergmann Katlewski in Adolf Winkelmanns Ruhrgebiets-Film „Jede Menge Kohle“ in Oberhausen verwirklicht wird: „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen.“ Und in Oberhausen kommen viele Tage, besonders in diesem Corona-Frühjahr, in denen das zerstörerische Gerät arbeitet und arbeitet.
Beispiele gibt es leider eine ganze Menge:
+++Mehr als 160 Bäume fällten Arbeiter überraschend im März an der Jacobistraße am Golfplatz – sogar in den Abendstunden. Weitere 40 sollen noch folgen. Grund für den Kahlschlag: Die Verkehrssicherheit ist angeblich bei allen 163 Bäumen nicht gewährleistet. Zuständig für die Grünvernichtung: Der Eigentümer des Geländes, der Regionalverband Ruhr (RVR).
Im Pantoffelpark rotiert die Säge
+++Auch im Pantoffelpark an der Brinkstraße rotierte im März die Säge – der RVR sorgte sich auch hier um die Sicherheit, diesmal um die Sicherheit von Radlern bei Stürmen entlang der Fahrradtrasse Grüner Pfad.
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+++Zudem fielen an der Erlenstraße Robinien und Gehölze – weil dort beim Bau der neuen Straße zum Edeka-Logistikcenter eine Lärmschutzwand errichtet wird.
+++Die Böschungen am Kleingarten in Lirich sind schon ziemlich gerodet worden: Vom kleinen Wald in Höhe der Ruhrorter/Grünstraße wird nach Abschluss der Arbeiten leider nichts mehr übrig sein. Sämtliche Bäume müssen nach Ansicht der Fachleute fallen, weil die Anhöhe – eine ehemalige Kalkschlamm-Deponie – nicht mehr standsicher ist und nun neu abgesichert werden muss. Die Bäume seien in keinem guten Zustand, heißt es von den Holzexperten.
+++Mehrere Bäume ließ das Wohnungsunternehmen Vivawest zum Jahresbeginn zwischen seinen Häusern am Kastanienweg fällen, um diese besser renovieren zu können.
+++Vier 25 Jahre alte Säuleneichen fallen dem Bau neuer Wohnungen in der Gutenbergstraße nahe dem Kult-Restaurant Gdanska in der Oberhausener Innenstadt zum Opfer – weil erst nach Gebäudefertigstellung die Feuerwehr feststellte, dass man dort keine Leitern anstellen kann.
Viele Gründe existieren, warum ein Baum gefällt werden muss
Mal ist es also der Brandschutz, mal ist es die Sturm-Sicherheit, mal eine neue Straße, mal irgendeine Krankheit, mal muss zum Wohle der Bahn eine Böschung kräftig durchforstet werden – es gibt viele Gründe, warum Bäume im Stadtgebiet angeblich unbedingt gefällt werden müssen.
Was macht schon der eine oder andere Baum aus, könnte man sagen – die Stadt zählte 2020 immerhin über 21.100 Straßenbäume in ihrem Besitz – gut 1500 mehr als vor acht Jahren.
Doch man muss auch die Lage der anderen Bäume in Privatbesitz, an Autobahn-Böschungen, an Bahngleisen oder an Fahrradwegen, in Parks und Wäldern betrachten. Und die sieht alles andere als gut aus. Schaut man beispielsweise auf die städtischen Wälder, dann schlägt nicht nur Stadtförster Jürgen Halm die Hände über den Kopf zusammen: „Die Fichten gehen uns wohl komplett verloren.“ Die Trockenheit, der Borkenkäfer. Ersatz in absehbarer Zeit ist äußerst schwierig: Die Baumschulen sind leer gekauft, das Personal zum Pflanzen ist rar. Notstand bei den Waldbäumen also.
Stadt Oberhausen ist nicht überall Herr der Lage
Zudem ist die Stadt im eigenen Stadtgebiet nicht überall Herr der Lage. Große Grundstücke gehören der Bahn, dem Regionalverband Ruhr, der Emschergenossenschaft, den Großkonzernen Thyssenkrupp und der RAG – oder dem Landesbetrieb Straßen.NRW bzw. der neuen Autobahn GmbH des Bundes. Haben diese sich entschieden, mal so richtig aufzuräumen und die Axt anzusetzen, gibt es oft kein Halten mehr. So war nicht nur SPD-Ratsherr Bülent Sahin geschockt über die gravierenden Rodungsarbeiten an der Abfahrt Lirich der Autobahn A3.
Bäume wegsäbeln – das ist zwar (meist) alles rechtens, doch hört man sich bei der Stadtverwaltung um, dann ist eine Tatsache schon kurios: Oft weiß niemand irgendetwas von Fällarbeiten auf großen privaten Arealen. Dabei beschäftigt sich mit Bäumen in Oberhausen eine Vielzahl von Behörden und Gremien: Die Untere Forstbehörde (Sitz: Recklinghausen), die Untere Naturschutzbehörde im Technischen Rathaus, die Bezirksvertretungen, die städtische Baumkommission, die Servicebetriebe Oberhausen (SBO, früher OGM) – und so weiter und so fort. Und die genaue Zahl aller Bäume in der zweitdicht besiedelten Stadt des Ruhrgebiets kennt niemand.
Man kann also festhalten:
Erstens: Die Gesamtsituation der Bäume im Stadtgebiet ist mies: Das Wetter zu trocken, die Sommer zu heiß, der Borkenkäfer zu rege.
Zweitens: Bäume in Städten sind wichtiger denn je: Klimaschutz, Sauerstoffversorgung der nahen Umgebung, höhere Lebensqualität und bessere Atmosphäre durch viel Grün sind deren Vorteile.
Drittens: Notwendig ist deshalb ein Kampf aller um jeden Baum. Doch viele Eigentümer, viele Behörden, viele Zuständigkeiten, die juristisch streng gefasste Verkehrssicherungspflicht der Städte bedeuten am Ende im Alltagsleben immer wieder und viel zu häufig: im Zweifel gegen den Baum. Ist wirklich jeder unter Fällverdacht stehende Baum mit dem Blick geprüft worden, möglichst viele Bäume zu erhalten? Oder haben wir hier ein zu enges Sicherheitsbewusstsein, dem Bäume zum Opfer fallen, damit man bei jedem Tornado im Fall des Falles als Spaziergänger sicher ist?
Viertens: Wenn schon Bäume in der Nähe von Anwohnern rüde entnommen werden müssen, sollte man die Nachbarn im Vorfeld über Gründe und Ausmaß direkt informieren. Das gebieten das Prinzip der Bürgerbeteiligung und der notwendige Respekt vor dem Lebensumfeld von Einwohnern der eigenen Stadt. Wenn allerdings selbst die Stadt zu häufig keine Ahnung hat, wer sich mit welcher Axt warum an welchen Bäume vergreift, dann ist eine bessere Informationspolitik schlecht möglich. Das führt zu Bürgerfrust.
Fünftens, hier einige Verbesserungsvorschläge: Man sollte erst einmal einen genauen Überblick über alle Bäume im Stadtgebiet anstreben. Man sollte die Leitlinie einführen, möglichst Bäume zu bewahren. Man sollte Bauherren vor Genehmigung des Projektes verpflichten, Bäume auf seinem Grundstück zu erhalten – und dafür Lösungen zu finden. Dann sollte man eine städtische Clearingstelle schaffen, die über jeden Baum-Kahlschlag im Stadtgebiet informiert ist. Zeitnah vor einer Fällaktion sollte man Anwohnern erläutern, warum welche Bäume abgeholzt werden müssen – per Flugblatt oder Newsletter, wenn sich Anwohner angemeldet haben.
So oder so: Wer etwas für eine bessere Lebensqualität und einen besseren Klimaschutz in Oberhausen tun will, muss handeln – so wie bisher darf es nicht weitergehen.