Oberhausen. Die Kurzfilmtage Oberhausen küren die besten Musikvideos - und haben eine Auswahl wie noch nie. In manchen Clips erscheinen prominente Gesichter.
Mach mal lauter, kann man dem 23. Muvi-Preis der Kurzfilmtage in Oberhausen völlig ungeniert entgegen schreien. Das renommierte Festival muss sich zum zweiten Mal über die Online-Kanäle mitteilen. Und die traditionell besonders beliebten Musikvideos steuern die Zuschauer diesmal in Eigenregie: Über Standcomputer, Laptops und Tablets auf dem Sofa - und eben auch den eigenen Lautstärkeregler.
Damit keine Missverständnisse aufkommen. Auf leisen Sohlen möchte die Online-Pracht in diesem Jahr nicht um die Ecke biegen. Nach dem sich bereits über viele Jahre eingespielten deutschen Wettbewerb mit zwölf Videos in der Endauswahl, kommen nun erstmals noch 14 Clips für eine internationale Schau hinzu. Doppelt schallt besser!
Corona-Krise nagt an den Geschmacksknospen
Die Corona-Pandemie hat vermutlich nicht wenige Geschmacksknospen auf eine harte Probe gestellt - und die Sinne im trockengelegten Kulturbecken gleich mit ausdörren lassen. Besonders bei der Hamburger Indie-Zwei-Mann-Band „Uwe“ darf man seinen Augen nicht trauen. „Junge Milliardäre“ heißt Uwes ironische Hymne an das Kapital und die längst zum Leitbild gewordenen Träumereien über den High-Tech-Reichtum.
Wer in dem aufgesetzten Gute-Laune-Video auf einer leergefegten Bühne so engagiert und ausgelassen tanzt und die Hüften wackeln lässt, ist Elektroauto-Pionier und Tesla-Tüftler Elon Musk - zumindest mutmaßlich.
Deepfake heißt nämlich die Technik, die es möglich macht, mit künstlicher Intelligenz so perfekt, bekannte Köpfe auf fremde Körper zu montieren, dass selbst modulierte Gesichtszüge nichts über die Montage aus dem Computer verraten. Amüsant wie gruselig zugleich.
Weiblicher Kunst-Punk und ein Rasenmäher in E-Moll
Ebenfalls im deutschen Wettbewerb: „Rasenmäher in E-Moll“ von Beißpony. Weiblicher Kunst-Punk, der sich ganz tief in die Tristesse des Lockdowns begibt. Das ernüchternde Thema adaptiert Filmemacherin Stephanie Müller gemeinsam mit Klaus Erika Dietl aber in erstaunlich sprudelnder Ideenvielfalt. Mit zugewachsenen Bolzplätzen und Gitterstäben aus Tennis-Schläger-Bespannungen. Ein Kasperletheater der Melancholie. Mit knapp 15 Minuten allerdings etwas zu ausufernd geraten.
Schmunzler des Wettbewerbs ist eine afghanische Windhündin mit blonder Perücke, die Regisseur Kay Otto in den Oliver-Polak-Song "Forever Corona" in Slow-Motion zeigt. Hochglanzbilder wie bei "Germany's next Top-Model", die tierisch mit dem oberflächlichen Posieren in der Parallelwelt der Smartphone-Kameras abrechnet.
Richard von der Schulenburg mögen Fans noch gut aus seiner gemeinsamen Zeit mit der Indie-Pop-Combo „Die Sterne“ kennen. Doch der Musiker paukt stilistisch nicht nur die Hamburger Schule, sondern bereist die Welt als DJ und Solokünstler. „Mrs Yamahas Summer Tune“ ist eine beinahe hypnotische Collage aus Urlaubspostkarten.
Und ja: Die Sonnenuntergänge über rauschenden Meereswellen sowie dicht gefüllte Sandstrände aus uralten Flohmarkt-Grußbotschaften wirken auf den Betrachter in Corona-Zeiten wie von einem anderen Stern. Eine minimalistisch anmutende Perle - von Katharina Duve und Timo Schierhorn behutsam ins wechselnde Bild gerückt.
Indischer Rap behandelt ein sensibles Thema
Von der Sehnsucht nach Ruhepolen handelt auch „Are you alright“ von Sofia Ashraf featering Supura Sensei. Doch statt Urlaubsidylle geht es bei Filmemacher Sapan Taneja um Angstzustände. Er zeigt unser Abbild mit dem täglichen Blick in den Spiegel. Geschundene Seelen und beschädigte, knorrige Bilder vereinen die Emotionen, die wir oft zu verstecken versuchen. Eine Sprechgesang-Therapie, die gerade wegen des Einheitsgraus ihrer Bildsprache hervorsticht.
Beim internationalen Wettbewerb tritt dieser Clip der indischen Rapperin Sofia Ashraf gegen illustre Konkurrenz aus zwölf Ländern an. Auch gegen „No concept“ des Experimentier-Duos Matmos aus San Francisco. Mit 99 Schlägen pro Minute stellten die Kalifornier ihr Musik-Album gemeinsam mit 97 weiteren Künstlern zusammen. Ein stringentes Konzept für die betitelte Konzeptlosigkeit. Überlappende Elemente bedienen sich an Fotografie, Text und Texturen, zu treibenden Klängen der Schlaginstrumente liebevoll montiert. Interessant.
Bekannte Gesichter auf neuen Wegen, die gibt es ebenfalls: Schauspielerin Sandra Hüller, bekannt aus "Toni Erdmann" und "Fack ju Göhte", erhebt in „The One“ ihre Stimme und balanciert im spartanischen Umfeld auf Stühlen und Tischen - meistert ungewohnte Situationen auf Biegen und Brechen.
Ingesamt 7000 Euro werden bei den Muvi-Preisen ausgeschüttet. Eine Jury wählt aus - und das Publikum stimmt ab. Die Sieger werkeln also nicht ohne Lohn.
>>> Kurzfilmtage biegen auf die Zielgerade ein
Die Internationalen Kurzfilmtage konnten, wie im vergangenen Jahr, kein Live-Publikum in der Lichtburg und den umliegenden Kulturstätten begrüßen. Das bekannte Festival zog mit sämtlichen Wettbewerben komplett ins Internet.
Neben 400 Kurzfilmen und 27 Preisen sollen sich Fachpublikum und Laien bei Web-Gesprächen austauschen. Selbst die Festival-Lounge wurde per Webcam mit den gewohnten DJ-Sets nachempfunden. Das Finale samt der Preisträger folgt am Montag, 10. Mai.