Oberhausen. Es sollte die schönste Zeit ihrer Schullaufbahn sein: Drei Schüler aus Oberhausen erzählen von ihrem harten Weg zum Abitur in der Pandemie.
Für viele Schülerinnen und Schüler geht in den nächsten Wochen ein zukunftsentscheidender Lebensabschnitt zu Ende. Die Abiturienten in Oberhausen blicken auf ein Jahr voller Achterbahnfahrten zurück. Das hat Spuren hinterlassen. Ein Gespräch mit drei jungen Erwachsenen, mitten in der bisher wichtigsten Phase ihres Lebens.
Büsra Gül ist Abiturientin an der Gesamtschule Osterfeld. Die 19-Jährige ist kurz vor ihren Prüfungen – wie könnte es auch anders sein – nervös und angespannt. Am Dienstag, 27. April, legt sie ihre erste Prüfung im Leistungskurs Sport ab. Erst kommt die Theorie, in den nächsten Wochen sind praktische Prüfungen in Leichtathletik, Ausdauer und Basketball angesetzt. „Sport war schon immer mein Lieblingsfach, früher wollte ich zur Polizei“, erzählt sie. „Für Basketball habe ich mich damals entschieden, weil ich dachte, ich hätte zwei Jahre, um den Sport zu lernen. Dann kam Corona.“
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Der Sportunterricht habe besonders unter den Distanzunterricht-Modellen der Regierung gelitten. „Zeitweise ging gar nichts mehr. Privat durften wir uns auch nicht zum Spielen treffen.“ Büsra hatte sich mit Beginn der Oberstufe vor über anderthalb Jahren zusätzlich in einem Basketball-Verein angemeldet, um ihr Können zu vertiefen. Doch auch das fällt wegen Corona weg. „Unsere Lehrer geben sich die ganze Zeit viel Mühe“, betont die 19-Jährige. „Wir können die letzten Tage vor den Prüfungen intensiv in der Schule üben, aber nicht alles kann aufgeholt werden.“
„Die schönste Zeit wurde uns einfach genommen“
Ihre anderen Abiturfächer sind theoriegeladener: Deutsch, Mathe und Sozialwissenschaften stehen auf dem Plan. Gelernt hat sie dafür im letzten Jahr zum größten Teil zu Hause. „Die Videokonferenzen haben manchmal nicht so geklappt wie sie sollten und der direkte Austausch mit den Lehrern war eingeschränkt. Teilweise fehlt mir Stoff“, sagt sie offen. „Ich fühle mich nicht ideal vorbereitet.“ Eine gehörige Portion Selbstdisziplin gehöre zum Homeschooling dazu. „Vielen meiner Mitschüler fehlt mittlerweile die Motivation. Wir wissen nicht, was nach der Schule kommt und ob es besser wird.“
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Die Schülerin macht sich Gedanken darüber, was in den zentralen Abiprüfungen abgefragt wird und hofft, dass die Situation der letzten Monate berücksichtigt wird. „Ich bekomme Angst, wenn ich gerade lerne und Themenfelder sehe, die ich nicht kenne. Ich glaube zwar, dass ich das Abitur schaffe, aber nicht so gut, wie ich es mir vorgestellt hatte.“ Das ersehnte Ende der Schulzeit, wie sie es sich gewünscht hätte, ist das Abitur in diesem Jahr nicht. „Ich bin immer gern zur Schule gegangen und die Abi-Zeit ist eigentlich etwas ganz Besonderes. Die schönste Zeit wurde uns einfach genommen.“
„Wir haben einen Stempel auf unserem Abschluss“
Auch Nils Hülsewiesche blickt skeptisch auf seine kommenden Prüfungen. Der 18-Jährige wird am Donnerstag, 29. April, seine erste Prüfung im Leistungskurs Chemie am Sophie-Scholl-Gymnasium schreiben. „Das Abitur wird für uns definitiv schwieriger als für die früheren Jahrgänge“, sagt der Schüler. „Selbst wenn es am Ende nicht auf dem Zeugnis steht, haben wir einen Corona-Stempel auf unserem Abschluss, genau wie die Schüler im letzten Jahr.“ Er hätte sich gewünscht, dass bundeseinheitlich alle Abiturprüfungen dezentral gestellt werden, die Lehrer an den Schulen also selbst die Themen aussuchen. „Das wäre fairer gewesen“, glaubt er.
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Viel Unterricht habe gefehlt, auch durch nötige Quarantäne-Maßnahmen. Den Schulen sei das nicht vorzuwerfen, meint der 18-Jährige. „Aber die Politik hat vor diesem Virus einfach kapituliert.“ Er selbst sei mit dem Distanzlernen gut zurecht gekommen, aber so sei es bei weitem nicht allen Schülern gegangen. „Wir gehen alle mit dem Motto in die Prüfungen: Augen zu und durch.“ Abschlussfahrten, Abiball, Mottowoche – auch die sozialen Höhepunkte der Abi-Zeit fehlen. „Vielleicht setzen wir uns im Sommer mal zusammen in einen Park, wenn es die Regeln erlauben, aber wir sind planungsmüde geworden. Es lohnt sich momentan sowieso nicht.“
„Ich habe überlegt, die Schule abzubrechen“
Joana-Sophie Richter bezeichnet sich in diesen Wochen selbst als „privilegiert“. Sie legt ihr Fachabitur am Käthe-Kollwitz-Berufskolleg ab. Im Fachabi werden die Prüfungen im Gegensatz zum Vollabitur von den Lehrern gestellt, das Ministerium bewilligt diese lediglich. „Ich glaube schon, dass die Lehrer uns deshalb vielleicht etwas gezielter vorbereiten konnten“, erzählt die 18-Jährige.
Das Corona-Schuljahr in Oberhausen
Hinter den Abiturienten liegt ein aufwühlendes Schuljahr. Im März 2020 wurden die Schulen erstmals geschlossen – schnell ist klar, dass das Distanzlernen durch mangelnde Digitalisierung von vielen Problemen begleitet sein wird, es fehlt an WLAN-Anschlüssen und Endgeräten bei Lehrern und Schülern. Ende April werden die Schüler in Etappen wieder in die Schule geschickt – zuerst die Abschlussschüler.
Nach den Sommerferien startet NRW als einziges Bundesland in den Unterricht mit Maskenpflicht. Zwischendurch müssen Klassen, teilweise sogar ganze Stufen, wegen Corona-Infektionen in Quarantäne geschickt werden. Ein Problem im Winter: Die Vorgabe der Regierung zum regelmäßigen Lüften. Mit Winterjacke, Mütze und Schal sitzen Kinder und Jugendliche im Unterricht.
Im November wird der Wechselunterricht beschlossen: Klassen werden geteilt und abwechselnd in Präsenz in der Schule und im Distanzlernen unterrichtet. Im Dezember werden die Schulen wieder ganz geschlossen. Im Januar wird der Distanzunterricht wieder aufgenommen, erst Ende Februar startet ein vorsichtiger Wechselunterricht.
Sie konnte die Auswirkungen von Distanz- und Wechselunterricht nicht nur an sich, sondern auch an ihren Mitschülern beobachten. „Es gibt Schüler, die vorher still waren und dadurch noch stiller geworden sind, aber auch welche, die in den Videokonferenzen mehr mitgemacht haben als früher, das war sehr individuell.“ Schüler aus sozial schwächeren Verhältnissen hätten es im letzten Jahr besonders schwer gehabt, teils auch wegen der technischen Ausstattung. „Die Laptops und Ipads kamen viel zu spät in den Schulen an. Da waren einige schon abgehängt“, stellt sie fest.
Das letzte Jahr ist ihr an die Substanz gegangen, erklärt sie. Seit einiger Zeit steht fest, dass sie nach dem Abschluss eine Ausbildung zur Erzieherin machen wird. „Da ist mir ein großer Stein vom Herzen gefallen. Aber vorher war ich wirklich am Tiefpunkt. Ich habe überlegt, die Schule abzubrechen.“ Das soziale Miteinander, der Nebenjob, die Zukunftsaussicht – an allem habe es zwischendurch gefehlt. „Natürlich schweißt die Situation uns Schüler zusammen, aber es ist trotzdem kräftezehrend gewesen. Kräfte, die wir lieber in unsere Prüfungen gesteckt hätten.“