Oberhausen. Oberhausen muss sich um immer mehr schwierige Familien kümmern, die Kosten explodierten. Jugendamtsleiter Deniz leitete die Wende ein - und geht.
Nach drei Jahren als Jugendamtsleiter verlässt Ertunç Deniz die Stadt Oberhausen zum 1. Mai 2021. Künftig wird der 40-Jährige in Viersen arbeiten – ein Karrieresprung zum Beigeordneten für Soziales, Jugend, Bildung und Sport. Was die größten Herausforderungen seiner Amtszeit waren und wieso er die Stadt verlässt, erzählt er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Herr Deniz, was waren die wichtigsten Themen, als Sie 2018 die Leitung im Jugendamt übernommen hatten?
Mein Fokus lag in der strategischen Steuerung und Weiterentwicklung des Jugendamtes. Das Jugendamt hatte in den Jahren vor 2018 mit hohen Kosten in der Familienhilfe zu kämpfen. Eine große Herausforderung zu Beginn meiner Tätigkeit als Jugendamtsleiter war es, die Kosten in diesem Bereich zu stabilisieren und eine solide Haushaltsplanung für die kommenden Jahre aufzustellen. Ich bin also mit einer gewissen Erwartungshaltung der Stadt in die Arbeit eingestiegen und war sofort mittendrin. So etwas wie Welpenschutz hatte ich nicht (lacht).
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Zudem waren die Verfahrensabläufe zu prüfen und zu optimieren. Im Sinne der Mitarbeitenden habe ich mehr Transparenz geschaffen, indem ich die Kommunikation zwischen allen Beschäftigten vorangetrieben habe. Meine Devise ist, dass alle Mitarbeiter sich mit ihren eigenen Ideen und Vorschlägen einbringen und so Schwachstellen schließen können. Kommunikation läuft nicht nur von oben nach unten, sondern auch andersherum. Ein weiteres Thema waren mehrere offene Stellen, die mittlerweile alle besetzt sind.
Die Drosselung der Ausgaben für die Familienhilfen ist Ihnen nun drei Jahre in Folge gelungen, im Jahr 2020 flossen 52,8 Millionen Euro in diesen Bereich, 2017 waren es noch 70 Millionen gewesen. Wie haben Sie das geschafft?
Gemeinsam mit den Mitarbeitern ist es gelungen, zum dritten Mal in Folge, ohne überplanmäßige Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr auszukommen. Ich war vorher selbst Abteilungsleiter für Jugendhilfe in Hemer und kannte die Thematik daher sehr gut. Bei der Jugendhilfe haben wir an mehreren Punkten angesetzt. Um Familien und Kindern in schwierigen Situationen zu helfen, ist aus meiner Sicht eine frühe Planung von passgenauen Unterstützungsleistungen ohne die Schaffung von Parallelstrukturen entscheidend. Je früher wir bei den Kindern und Familien mit unseren Maßnahmen ansetzen, desto besser sind die Erfolgsaussichten.
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Wir haben außerdem in den letzten Jahren verstärkt darauf geachtet, welche Kostenträger, welche Leistungen zu erbringen haben. Eine neue Rechtsstelle hat sich unter anderem auch mit der komplexen Zuständigkeitsregelung verschiedener Kostenträger rechtlich auseinandersetzt.
Sie haben also Maßnahmen gekürzt?
Nein, es geht mir nicht ums Sparen in der Jugendhilfe. Wir wollen den Familien so gut helfen, dass sie uns über kurz oder lang nicht mehr brauchen. Deshalb ist von Willkür abzusehen – Hilfe muss begründet sein. Diese Reflektion unserer Arbeit hat aber dazu beigetragen, Abläufe zu optimieren und dadurch Ausgaben zu reduzieren.
Besonders das Kindswohl beschäftigt die Gesellschaft seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Wie sehr hat das Virus die Arbeit im Jugendamt verändert?
Tatsächlich beschäftigt mich das Thema sehr. Durch die Krise steigen aber vor allem die Belastungssituationen in Familien, insbesondere die von Kindern und Jugendlichen. Unterrichtsausfall, der Wegfall von Freizeitangeboten – dies hat auf Kinder und Jugendliche soziale, emotionale und kognitive Auswirkungen, die wir heute noch nicht abschätzen können. Weiterhin bleibt zu befürchten, dass aufgrund von Kontaktbeschränkungen wegen Corona nicht nur Ansprechpartner, sondern auch Meldeketten zum Kinderschutz ersatzlos wegbrechen. Familiäre Krisen und Kindeswohlgefährdungen könnten mitunter erst später erkannt werden.
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Wichtig ist es für uns, in dieser Krisensituation aktiv auf hilfesuchende Familien, Schwangere, Kinder und Jugendliche zuzugehen und sie auf Beratungsangebote aufmerksam zu machen. Deshalb haben wir eine große Öffentlichkeitskampagne gestartet: Überall in der Stadt werden Plakate und Flyer in kindgerechter Sprache verteilt, um Betroffenen zu zeigen: Ihr seid nicht allein, wir sind für Euch da.
Abschied in Corona-Zeiten
Der 40-jährige Ertunç Deniz lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Dortmund. Der künftige Viersener Beigeordnete lernte zunächst Energieanlagenelektroniker, dann machte er den Abschluss als Diplom-Sozialpädagoge. An der Hochschule Niederrhein absolvierte er seinen Master als Sozialmanager.
Aufgrund der Pandemie-Situation kann sich der Oberhausener Jugendamtsleiter nicht offiziell bei seinen Kollegen verabschieden. „Ich möchte mich deshalb hier bei der Stadt Oberhausen für die schöne Zeit bedanken“, sagt Deniz.
Wieso wechseln Sie nach Ihrer kurzen Oberhausener Amtszeit nach Viersen?
Tatsächlich dachte ich, ich würde hier länger Amtsleiter bleiben. Doch als Beigeordneter habe ich mehr Gestaltungsmöglichkeiten und kann mich in Themen auch außerhalb der Jugendhilfe einbringen. Die Ausschreibung hat mich also gelockt. Trotzdem kommt das Ende jetzt sehr schnell (lacht). Dieses Amt war für mich der logische nächste Schritt: Erst war ich Abteilungsleiter, jetzt Amtsleiter, ab Mai Beigeordneter.
Wie blicken Sie auf die Herausforderungen der nächsten Jahre? Ist Oberhausen gut gerüstet?
Obwohl Oberhausen mit Schulden zu kämpfen hat, legen Stadt und Politik viel Wert auf Kinder- und Jugendarbeit, das hat mir von Anfang an sehr imponiert. Doch es wird nicht einfacher. Das Bundeskabinett hat im letzten Jahr den Gesetzentwurf für ein neues Kinder- und Jugendstärkungsgesetz beschlossen. Damit wird das Sozialgesetzbuch VIII, das Kinder- und Jugendhilfegesetz, reformiert und viele Leistungen modifiziert – da kommt sicherlich mehr Arbeit auf das Jugendamt zu. Ich habe meinen Mitarbeitern aber schon zugesichert, weiterhin für Fragen zur Verfügung zu stehen. Ich werde der Stadt nicht einfach den Rücken kehren.