Oberhausen. Von der Familienproduktion “in Frischhaltefolie“ bis zur “Samstagabend-Show“ online: So nimmt Intendant Fiedler Kurs aus dem Lockdown
Bei einem gebürtigen Hamburger wie Florian Fiedler klingt die Zwischenbilanz dieser zweiten Corona-Spielzeit des Theaters gleich nach winterlichem Lotsentörn: „Wir fahren auf Sicht“, sagt der Intendant, „und momentan ist es sehr neblig“. Der 43-Jährige nennt den Kurs des Ensembles in seiner vorletzten Oberhausener Spielzeit „hybrid“: also zunächst mit digitalen Formaten, um weiter produktiv und im Gespräch zu bleiben – aber live auf der Bühne, sobald es die Schutzverordnungen gegen die Pandemie wieder erlauben.
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„Wir müssen jede Woche Theater neu denken“, sagt Fiedler – und neu terminieren. Während des gesamten Januars war das Haus am Will-Quadflieg-Platz praktisch stillgelegt. Wenn es Proben gab, dann als reine Textarbeit in Gestalt von Zoom-Konferenzen vor heimischen Webcams. So verebbte seit der Jahreswende selbst der virtuelle Kontakt zum Publikum – zum großen Bedauern des Intendanten. „Es ist schon sehr dünn, ganz ohne Output des Hauses.“ Fiedlers letzte eigene Inszenierung, die große Familienproduktion „Peter Pan“, erlebte eine theaterinterne Quasi-Premiere. „Dann haben wir sie in Frischhaltefolie gepackt.“ Das „Auspacken“ dieses Geschenks für alle Alter folgt dann erst zur nächsten Adventszeit.
Melancholische "Geschichten aus der Höhle"
Dabei will das Theater Oberhausen ja nicht nur zeitlos Haltbares abliefern, sondern zeitnah auf eine vielfach bedrängte Gesellschaft reagieren. Darum geht’s bei Bert Zanders drittem Filmprojekt fürs Theater Oberhausen mit dem Titel „innen. Nacht“, für das Florian Fiedler erstmals die Rolle des Dramaturgen übernimmt: „Es war abzusehen, dass wir Mitte Februar noch nicht vor echten Menschen spielen dürfen.“ So habe er den 49-jährigen Videokünstler Zander bewegt, jene im Programmbuch noch namenlose Produktion zu übernehmen, die eigentlich Fiedler selbst inszenieren wollte.
„Innen. Nacht“, untertitelt „Geschichten aus der Höhle“, schreit nicht effektheischend „Corona“, spürt aber dem Gefühl tiefer Melancholie nach, dem sich jetzt so viele ausgesetzt sehen. Es gibt literarische Quellen von Ulla Hahn bis May Ayim (1960 bis 1996), der Poetin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung. „Im Grunde gut“, das große Plädoyer des jungen niederländischen Historikers Rutger Bregman, nennt Fiedler als wichtige Basis der Skript-Arbeit.
Erst einmal digital aufrüsten
„Innen. Nacht“ zeigt sechs Menschen in der Isolation, die aus ihrem Leben erzählen. Zwar sei es noch weit bis zur Online-Premiere, voraussichtlich Mitte März, doch werde die Bildsprache, so Fiedler, wohl mit der von Bert Zanders Lockdown-Coup „Die Pest“ vergleichbar sein. Diese betont theatrale Verfilmung von Camus‘ „Roman der Stunde“ brachte das Theater Oberhausen im Vorjahr bis ins Feuilleton der New York Times.
Anders als die vom Sender 3sat ausgestrahlte „Pest“ werde das neue Zander-Werk nur als Bezahl-Angebot zu sehen sein. Dafür habe sich das Theater seit dem letzten Frühjahr erst einmal digital aufrüsten müssen – eine Notwendigkeit, die auch die neue Verwaltungsdirektorin Doris Beckmann betont hatte.
Von der Graphic Novel zur "Samstagabend"-Show
Als „Hybrid“ und als nächste Premiere folgt (ebenfalls für Ende Februar, März geplant) „Der Ursprung der Liebe“ nach der gefeierten Graphic Novel der Schwedin Liv Strömquist, gespielt und inszeniert von Ronja Oppelt und Lise Wolle mit Karoline Behrens als Co-Regisseurin. Diese Produktion könnte zunächst vor Kameras „als Samstagabend-Show“ entstehen, so beschreibt’s Florian Fiedler. „Und wenn unser Publikum wieder herein darf, dann nehmen wir’s dazu.“
Im März soll sich wieder viel tun im Theater – beziehungsweise auf seiner Internet-Präsenz. Das seit Fiedlers erster Spielzeit etablierte Feministische Festival zum 8. März werde über die gesamte restliche Spielzeit ausgedehnt zu einer Reihe. „Manches können wir nicht digitalisieren“, so der Intendant. Weil es ohne Publikum und Diskussion einfach nicht geht.
Zum Spielzeit-Ausklang ein "Maskenball"
Ganz auf das Live-Erlebnis ausgerichtet sind auch die – entsprechend verschobenen - Inszenierungen zum 100. Geburtstag des Theaters Oberhausen, dessen allererste Premiere am 15. September 1920 das „Schöne, Wahre, Gute“ feierte, sowie von „Tigermilch“ nach dem Roman der gebürtigen Oberhausenerin Stefanie de Velasco. „Im schlimmsten Fall“, sagt Florian Fiedler, „zeigen wir einen Livestream“. Die zweite Inszenierung von Hausregisseurin Babett Grube schließlich, der „Maskenball“ (so der Arbeitstitel), sei als sommerliche Produktion im Oberhausener Stadtraum wohl am wenigsten gefährdet.
Mut schöpft der Intendant aus dem eindeutigen Zwischen-Hoch, als das Theater im September und Oktober „Kleiner Mann – was nun?“ und die Uraufführung von „Herkunft“ zeigen konnte: „Die Leute waren theatermäßig unterzuckert“, sagt Florian Fiedler. Und hofft, dass sie sich auch am Ende dieses Lockdowns wieder nach dem Stoff sehnen „aus dem die Träume sind“.
Info: Verfrühte Termine auf der Homepage
Wer auf der Homepage theater-oberhausen.de die Programm-Rubrik anklickt, findet dort bereits für den Februar Premieren-Termine: für den 19. Von „innen. Nacht“, für den 26. von „Der Ursprung der Liebe“. Zumindest für den digitalen Film von Bert Zander wird das nicht zu halten sein.
Zuverlässig im wöchentlich „neu gedachten“ Theater sind allerdings die Hinweise auf die Termine der Theaterfaktorei, die online bereits wieder durchstartet.