Oberhausen. Bert Zander inszeniert Camus’ „Roman der Stunde“ mit dem Ensemble des Theaters Oberhausen, 60 Bürgern der Stadt und geisterhaften Projektionen.
Bert Zander ist kein Filmemacher – er ist ein gefragter Videokünstler fürs Theater. Das gibt seiner fünfteiligen Miniserie „Die Pest“ nach Albert Camus’ „Roman der Stunde“ eine ganz spezielle Prägung. Der 48-Jährige inszenierte bisher nicht für Bildschirme oder Kinoleinwände, sondern schuf Projektionen in Bühnenräume – und genauso eröffnet auch die erste Folge dieses so stimmungsvollen wie düsteren Blicks auf eine Seuche und wie sich die Menschen dagegen wehren.
Man blickt in den dunklen Bühnenraum, ganz kurz schwenkt die Kamera auf Clemens Dönicke, der als Dr. Bernard Rieux zum Chronisten der sich wie in Zeitlupe ausbreitenden Katastrophe wird. Er ist die unsichtbare Stimme dieses Films – denn die Kamera übernimmt von nun an Rieux’ Perspektive. Die anderen Schauspieler des Oberhausener Ensembles erscheinen, so wie es Zander etliche Jahre als Theaterfilmer praktiziert hat, als Projektionen: auf Hauswänden, Garagentoren – oder auf den Kissen der kranken Concierge (Anna Polke), des ersten Todesopfers der Seuche.
So hingeschrieben, mag das wie eine Zumutung klingen: Tatsächlich aber sorgen diese geisterhaft über Wände gleitenden Gestalten – selbst wenn man ihnen auf einem Smartphone zusieht – für einen erzählerischen Sog, der Camus’ Erzählung eines sich anschleichenden Verhängnisses sehr genau entspricht. Der Betrachter fühlt sich wie in einem wachen Alptraum.
Eine Stadt verbarrikadiert sich
Wie gekonnt Bert Zander mit dem vielstimmigen Chor seiner 60 Erzähler, die sich selbst in ihren Oberhausener Wohnungen filmten, zu arbeiten weiß, hatte er schon für „Schuld und Sühne“ bewiesen. Es ist sicher auch ein bisschen die Kunst von Schnittmeister Fabian Barba Hallal, diese Auftritte so souverän wirken zu lassen. „So entsteht Zeugenschaft“, sagte Zander selbst zum Einsatz seiner Erzähler-Chöre. Man sieht sie allesamt auf geschlossenen Jalousien – und denkt unweigerlich an die letzten Wochen dieses Frühjahrs: Eine Stadt verbarrikadiert sich gegen einen unsichtbaren Feind.
Auch der Auftakt ist noch online zu sehen
Dank der Kooperation mit dem ZDF-Kultursender 3sat sind die fünf Folgen auch nach den Samstags-Terminen, jeweils um 19.30 Uhr, weiter online zu sehen – kostenlos.
Die Textfassung für das Theater Oberhausen basiert auf der Übersetzung von Uli Aumüller. Der beim Rowohlt Verlag in den ersten Wochen des Corona-Lockdowns vergriffene Roman ist nun für 12 Euro wieder als Taschenbuch erhältlich.
Die Online-Filmproduktion des Theaters Oberhausen wurde gefördert durch das NRW-Kultursekretariat und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes.
In der 20-minütigen Auftakt-Folge von „Die Pest“ ist zunächst nur von toten Ratten die Rede. Doch Rieux hat seine Frau bereits „zur Erholung“ aus der Stadt geschickt. Sein Kollege Richard (Christian Bayer) wiegelt ab oder flüchtet sich in routinierte Hektik. Erst am Ende der ersten Folge sagt Castel (Lise Wolle) das Schreckenswort: Pest.
Und dann ist da noch Emilia Reichenbach, die sich als einzige der Kamera bei hellem Tageslicht und in grüner Natur stellt. In „Schuld und Sühne“ hieß ihre Rolle laut Programmblatt „Gott / Dostojewski“ – und beim nach Buchseiten ungleich schmaleren Werk des Atheisten Camus?
Die erste Folge von „Die Pest“ wusste subtil Spannung aufzubauen. Vier weitere Teile folgen jeweils samstags um 19.30 Uhr online auf die-pest.de – auch der ansehnliche Auftakt lässt sich dort noch ansehen.