Oberhausen. . Bert Zanders „theatrale Filminstallation“ ist ein Solo mit großem Ensemble: Christian Bayer streitet in „Schuld und Sühne“ mit Film-Partnern.

Ein dezenter Hinweis vor dem kleinen Theaterraum, hineingestellt in die Leere von 3000 Quadratmetern ungenutzter Kaufhaus-Etage: Sie betreten jetzt den „Raskolni-Kopf“ – und zwar bitte nicht in Schuhen, denn drinnen ist flauschiger Teppich ausgelegt. Der doofe Kalauer mit dem Namen des Mörders Rodion Raskolnikow ist gar keiner: Bert Zander meint es ernst, will mit seiner Inszenierung des frühen psychologischen Romans „Schuld und Sühne“ nach Fjodor Dostojewski die fiebrig kreiselnden Gedanken des Verzweifelten zeigen.

Für die letzte Premiere der Spielzeit ist das Theater Oberhausen umgezogen ins alte Kaufhof-Gebäude an der Marktstraße – und schuf ein neues Genre, genannt „theatrale Filminstallation“. Bert Zander, erfahren als Videokünstler für hundert Bühnen-Produktionen, lässt zwischen vier Leinwänden nur Christian Bayer als Raskolnikow „live“ auftreten: in seinen Gewissens-Qualen nach dem Doppelmord bedrängt vom gesamten Ensemble, das die Kamera zumeist in Überlebensgröße porträtiert.

Der Mörder und die Hure: Vor Sonja (Lise Wolle) gesteht Raskolnikow sein Verbrechen.
Der Mörder und die Hure: Vor Sonja (Lise Wolle) gesteht Raskolnikow sein Verbrechen. © Isabel Machado Rios

Doch den pochenden Puls dieser Produktion gibt der vielstimmige Chor der Erzähler vor: Neugierige, die einige Sätze „Schuld und Sühne“ für Zanders Kamera vortragen wollten, erzählen von dem Weg des Täters zur alten Pfandleiherin, von seiner Hybris, mit dem Mord an der Wucherin „tausend gute Taten“ möglich zu machen, und von der katastrophal stümperhaften Ausführung der Tat. Das ist flott, aber nicht zu schnell geschnitten. Die Stimmen der Stadt kommen aus Oberhausener Küchen und Wohnzimmern, vom Fahrersitz und Caféhausstuhl. Und sie gewinnen eine solche Intensität, dass man gar nicht sofort bemerkt, wie Christian Bayer als Raskolnikow zwischen die Zuschauer getreten ist.

Sein grandioses Solo fügt sich aus Streitgesprächen mit all jenen, die auf den fiebrig Verwirrten eindringen – ohne zunächst von seinem Verbrechen etwas zu ahnen. Raskolnikow wütet gegen die Ehepläne seiner Schwester Dunja: Klaus Zwick gibt diesen Hofrat Luschin mit aasigen Anti-Charme. Wie das gesamte Ensemble zeigt die Kamera ihn in untoter Blässe und schwarz untermalten Augen: ein Kabinett der Geister wie aus den Glanzzeiten des deutschen Stummfilm-Expressionismus.

„Gott“ erkennt die eigene Ohnmacht

Die eindringlichen Blicke vor durchweg schwarzem Hintergrund sind wie gemalt für Raskolnikows Klaustrophobie. Der Untersuchungsrichter kennt jenen Essay des Studenten, in dem er eine „höhere Moral“ und das Recht zu töten für sich beansprucht hatte: Clemens Dönicke, zugleich „Good Cop“ und „Bad Cop“, legt Raskolnikow in beängstigender Freundlichkeit den Selbstmord nahe.

Das andere Theater-Foyer: Blick vom Fuß der Rolltreppe im alten Kaufhof-Gebäude an der Marktstraße.
Das andere Theater-Foyer: Blick vom Fuß der Rolltreppe im alten Kaufhof-Gebäude an der Marktstraße. © Kerstin Bögeholz

Doch das Verbrechen gesteht er vor Sonja (Lise Wolle), jener heiligen Hure, die ihr Leben für eine untergehende Familie wegschenkt – und nun Raskolnikow klarmacht, dass er keine „Laus“ vernichtet, sondern Menschen getötet hat.

Dostojewskis groß angelegte Erzählung, aufgefächert über 14 Tage und in mehreren Nebenhandlungen, hat in diesem Solo mit großem Ensemble eine ideale Form gefunden. Ihr entspricht auch passgenau die „theatrale“ Spielweise vor der Kamera. Im zweiten Teil führt Emilia Reichenbach mit ihren kurzen Reflexionen über Gottes Ohnmacht das Drama zu seiner Auflösung. Im Programmheft heißt ihre Rolle „Gott / Dostojewski“.

Zum großen Premierenapplaus sammelte Christian Bayer auch seine Kolleginnen und Kollegen um sich, die sich erstmals selbst auf zwei bis vier Leinwänden zugleich erlebt hatten. Ein bezwingender Spielzeit-Abschluss.

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Weitere Vorstellungen folgen am Mittwoch, 13., Freitag, 15., Sonntag, 17., Mittwoch, 20., Samstag, 23., Donnerstag, 28., und Samstag, 30. Juni. Karten kosten 14 Euro, ermäßigt 5 Euro, 0208 - 8578 184, online theater-oberhausen.de.

Das Theater-Team bemüht sich nach Kräften, die Temperaturen in der Spielstätte mit Ventilatoren erträglich zu halten. Der lange, aber keine Minute langweilige Abend dauert – mit Pause – dreieinhalb Stunden.