Oberhausen. Die Pandemie fordert dem Oberhausener Gesundheitsamt viel ab. Wichtige Infos für Corona-Kontaktpersonen kommen nicht selten nur verzögert an.
Es ist nicht so, als ob die Führungsmannschaft des Oberhausener Rathauses nicht gehandelt hätte: 30 Beschäftigte aus anderen Bereichen der Stadtverwaltung unterstützen derzeit das Gesundheitsamt. Hinzu kommen seit der vergangenen Woche 15 angeforderte Bundeswehrsoldaten, die telefonisch all diejenigen Bürger informieren, die mit gemeldeten infizierten Personen längere Zeit gesprochen oder sich mit ihnen in einem Raum aufgehalten haben.
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Außerdem müssen auch diejenigen Oberhausener regelmäßig angerufen werden, die vom Amt in Quarantäne geschickt wurden – das sind immerhin über 700 Menschen. Und natürlich muss amtlich alles korrekt geregelt sein, wenn Quarantäne verordnet wird. Das ist unglaublich viel Arbeit und bedeutet ein hohes Pensum, wobei nicht jeder Anruf bei einem frisch Corona-Infizierten innerhalb von fünf Minuten erledigt ist – denn viele Betroffene haben zahlreiche Fragen; zumal diejenigen oft Angst haben, an Corona schwer zu erkranken.
Grenzwert nicht grundlos auf 50 festgelegt
So bemerken alle Gesundheitsämter der Kreise und Großstädte derzeit in NRW, warum der ursprüngliche Schwellenwert von der Politik und Epidemiologen bundesweit auf 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner der letzten sieben Tage festgelegt wurde. Denn bis dahin gilt es noch als einigermaßen praktikabel umsetzbar, Kontakte von Frischinfizierten tatsächlich nachzuverfolgen, um diese zur Vorsicht anzuhalten – und die rasante Verbreitung des Coronavirus zu stoppen. Fast alle der 53 Städte und Kreise in NRW kommen derzeit auf einen Sieben-Tage-Inzidenzwert von mehr als 100. Oberhausen liegt mit einem Wert von 95,4 (Stand: 3. November) nur knapp darunter.
Und so häufen sich die Beschwerden von Infizierten, aber auch deren Kontaktpersonen. So schreibt uns beispielsweise ein Leser anschaulich, wie sein Sohn mit Freundin ein längeres Treffen mit einem anderen jungen Paar hatte. Obwohl diese Frau, wie sich nachträglich herausstellt, infiziert war, meldete sich das Oberhausener Gesundheitsamt bei seinem Sohn nicht – eine Woche lang keine Reaktion. Der Sohn selbst konnte das Gesundheitsamt am Montag vor einer Woche nach eigenen Angaben nicht erreichen, um Infos darüber zu bekommen, wie er sich nun verhalten soll.
Quarantäne-Anordnung des Gesundheitsamtes mit Vorteilen
So sehr man auch geschockt sein mag, dass man sich nach einem Treffen mit einem nachweislich Corona-Infizierten angesteckt haben könnte und nun in Quarantäne zu Hause sitzen muss, so sehr hat die klare Anordnung eines Gesundheitsamtes für Beschäftigte auch Vorteile, weil dann rechtlich nach dem Infektionsschutzgesetz alles klar ist. Der Arbeitgeber muss im Fall der Quarantäne-Anordnung dem betroffenen Mitarbeiter wie in einem Krankheitsfall sechs Wochen den Lohn weiter zahlen. „Der Arbeitgeber erhält dann nach Paragraph 56 die ausgezahlten Beträge von der Behörde erstattet“, schreibt Sören Siebert auf seiner Internet-Plattform eRecht24.
Hat ein Beschäftigter Kontakt mit einem Infizierten, hat im Grunde jeder Arbeitgeber auch Interesse, den Beschäftigten nach Hause zu schicken, damit er wiederum niemand anderen im Unternehmen anstecken kann. Sollte der Arbeitgeber wegen seiner Fürsorgepflicht seinen Arbeitnehmer vorübergehend freistellen, so erhält dieser sein Gehalt weitergezahlt – schreibt die Juristin Britta Beate Schön unter Verweis auf den BGB-Paragrafen 615 auf der Internetseite finanztip.de.
„Auch wir als Eltern hatten kurz vor Bekanntwerden der Infektion der Freundin unseren Sohn besucht. Wie will man eine Verbreitung verhindern, wenn die Ämter offensichtlich vollkommen überlastet sind und keine der direkten Kontaktperson informiert wird?“, schreibt uns der Vater, dessen Name der Redaktion bekannt ist. „Unser Sohn hat sich nun freiwillig in Quarantäne begeben und sich den Resturlaub genommen, so viel Rücksicht können und wollen sicher die meisten Menschen nicht nehmen, ohne eine konkrete Information durch das Gesundheitsamt.“
Corona-Benachrichtigungen verzögern sich aus mehreren Gründen
Natürlich ist allen Verantwortlichen bekannt, dass es bei Benachrichtigungen durch das Oberhausener Gesundheitsamt in den vergangenen Wochen zu Verzögerungen gekommen ist. Das Problem: Dass jemand Kontakt zu einer infizierten Person hat, erfahren die Menschen dann ein, zwei oder drei Tage später und können in dieser Zeit ja arglos Menschen infizieren – falls sie überhaupt infiziert sind.
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Redet man mit Oberbürgermeister Daniel Schranz oder Krisenstabsleiter Michael Jehn über die Überlastungssituation des Gesundheitsamtes unter Leitung von Dr. Henning Karbach, so halten beide die Kontaktverfolgung trotz der seit vier Wochen steigenden Infektionszahlen und der Arbeitsflut für die Gesundheitsamtsmitarbeiter im Prinzip immer noch für möglich. Die weiße Flagge hisst das städtische Gesundheitsamt also noch nicht.
Bundeswehr kam gerade rechtzeitig
„Die Bundeswehrsoldaten machen einen tollen Job, sie sind gerade rechtzeitig gekommen, sonst wären wir tatsächlich trotz der starken personellen Unterstützung der anderen Bereiche überlastet worden, weil die Infektionszahlen so schnell angestiegen sind“, räumt Ordnungsdezernent Jehn am Montagabend im Gespräch mit der Redaktion ein. „Wir stocken jetzt das Personal im Gesundheitsamt weiter auf und richten jetzt neue, zusätzliche Arbeitsplätze ein.“
Schließlich steigt mit der Zahl der Neuinfektionen ja auch noch die Zahl der Quarantäne-Fälle: Alleine durchs Heinrich-Heine-Gymnasium kamen in der vergangenen Woche nach Angaben von Jehn rund 100 Quarantäne-Fälle hinzu. Am Wochenende wurden 300 Personen in Alten- und Behindertenheime getestet, am Montag sind über 200 Oberhausener durch das Testzentrum an der Feuerhauptwache in Alt-Oberhausen und durch mobile Teams des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) auf Corona getestet worden.
So fordert der Oberhausener SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Zimkeit die Stadt auf, die jetzt genehmigte Hilfe der Landesregierung sofort in Anspruch zu nehmen – sie will Landesbedienstete an die Gesundheitsämter abordnen.
Nicht erst das Testergebnis abwarten, lieber vorsichtig sein
„Je höher die Zahlen steigen, desto weniger kommen wir hinterher, denn die Anrufe bedeuten einen Riesenaufwand“, sagt Oberbürgermeister Schranz zur Redaktion. „Wir haben aber mehrere Flaschenhälse: Die Testlabore sind so überlastet, dass das Testergebnis den betroffenen Bürgern erst später gemeldet wird. Wenn die Menschen dann eine ganze Zeit lang keinen Anruf vom Labor oder Gesundheitsamt bekommen, irritiert sie das zurecht.“ Wenn sich das Infektionsgeschehen weiter so dynamisch entwickele, komme man endgültig an die Grenzen des Systems der Kontaktverfolgung.
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Deswegen sei es so dringend notwendig, dass jeder Einzelne die Zahl seiner Kontakte reduziert, damit man die Infektionszahlen wieder in den Griff bekommt, meint das Stadtoberhaupt. „Das kann nur gelingen, wenn staatliches Handeln und Eigenverantwortung Hand in Hand gehen.“ Und das bedeutet: Bei Symptomen nicht erst das Testergebnis abwarten, bei Kontakt zu einem Infizierten nicht erst auf den Anruf des Gesundheitsamtes warten – sondern sich zu Hause in Quarantäne geben. Und sich daran halten.