Oberhausen. Christoph Schlingensief nahm vor seinem Tod seine Trauerfeier in der Herz-Jesu-Kirche vorweg. Ein Video zeigte die Inszenierung am Originalort.

Das scharfe Klacken eines dieser Metronom-Taktgeräte, die Musiker normalerweise aufstellen, damit ihre Klänge nicht entgleisen, durchdringt die Herz-Jesu-Kirche. Die Pendel stehen vor den Beichtstühlen. Der Geruch von Weihrauch steigt in die Nase. Sie wollen an diesem Samstagabend in Oberhausen keine Messe feiern. Sondern an den Oberhausener Künstler Christoph Schlingensief erinnern, der vor zehn Jahren an Lungenkrebs starb und an diesem Tag seinen 60. Geburtstag gefeiert hätte.

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Schlingensief und das Gotteshaus am Altmarkt: Es gibt so viele Schnittmengen. Doch seine wohl dichteste Bühnen-Inszenierung „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ zeigt, wie markant den Allround-Künstler und umstrittenen Provokateur dieser Ort tatsächlich geprägt hat. Zwei Jahre vor seinem Tod, kurz nach seiner Krebsdiagnose, nahm der ehemalige Messdiener aus der Herz-Jesu-Gemeinde bei der Ruhrtriennale in der Duisburger Gebläsehalle seine eigene Trauerfeier vorweg.

Schlingensief: Tagesgebet, Lesung, Lied und Wandlung

Es ist Schlingensief-Wochenende in Oberhausen. Das Stadttheater erinnert an den berühmten Sohn der Stadt mit Film, Schauspiel und Performance. Die Kirchenbänke am Altmarkt füllen sich schnell. Schmale Holzbalken liegen zwischendurch auf den Sitzreihen, um die nötigen Corona-Abstände zu wahren. Die Platzvergabe durch die Kirchengemeinde klappt gut.

Drei Leinwände projizieren „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ ins Gotteshaus am Altmarkt. Die Inszenierung von Christoph Schlingensief flimmerte 90 Minuten in der Herz-Jesu-Kirche.
Drei Leinwände projizieren „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ ins Gotteshaus am Altmarkt. Die Inszenierung von Christoph Schlingensief flimmerte 90 Minuten in der Herz-Jesu-Kirche. © FFs | Heinrich Jung

90 Minuten läuft der Videomitschnitt einer durch die damals vom internationalen Feuilleton hochgelobte Theater-Inszenierung. „Fluxus-Oratorium“ nennt sich seine Stilwahl. Nicht das Kunstwerk zählt, sondern die urbane Idee – dramatisch erzählt mit Orchester, Chören und einer Vielzahl agierender Schauspieler. Schlingensief wählt kirchliche Fragmente: Tagesgebet, Lesung, Lied und Wandlung.

„Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ lässt bis in die tiefsten Etagen von Schlingensiefs Seele blicken. Sie zeigt den Künstler durch die Wackelkamera in sorglosen Kindertagen mit seinen Eltern am Strand. In seiner Inszenierung reflektiert der Künstler in Tonbandaufnahmen in Tränen aufgelöst oder lässt seine Gedanken von Frauen und Männern auf der Bühne vortragen. Der Apothekersohn legt sein Leben unter das Röntgengerät. Kurz vor seinem Tod sagte er: „Ich will mein Sterben aushalten.“

Schlingensief bricht das Tabuthema, den Tod, empfindlich auf. Der Videoabend verlangt den Besuchern in der Herz-Jesu-Kirche viel ab. Einige Besucher geben nach wenigen Minuten auf und verlassen die Kirche.

Schlingensief: Starker Hall verbreitet sich im Gotteshaus

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Das mag allerdings nicht nur am schwierigen Stoff, sondern auch an der Akustik liegen. Zu Beginn sind die Dialoge, die erzählerischen Elemente, über die Lautsprecher nur schwer zu verstehen. Starker Hall verbreitet sich in der Herz-Jesu-Kirche. Wer sich darauf einlässt, sieht ein dicht inszeniertes Ringen im Tiefengewebe der Selbstfindung.

Christoph Schlingensief starb am 21. August 2010 in Berlin. Die anschließende Trauerfeier mit Pfarrer Michael Dörnemann, dann tatsächlich in der Herz-Jesu-Kirche, schloss den Kreis in Oberhausen. Unter den Trauergästen saß neben viel Theaterprominenz auch Altbundespräsident Horst Köhler, der Schlingensiefs wohltätiges Operndorf-Projekt in Afrika unterstützte. Die Pacellistraße, direkt neben dem Gotteshaus, wird 2012 nicht unumstritten in Christoph-Schlingensief-Straße umbenannt. Eugenio Pacelli war der bürgerliche Name von Papst Pius XII.