Oberhausen. Regisseur Christoph Schlingensief drehte vor 30 Jahren die Deutsche Einheit durch den Fleischwolf. In der Lichtburg erinnerten sich Weggefährten.

Rohes Fleisch gibt es reichlich. Meistens wird es mit spitzen Gegenständen zerhackt. Blut spritzt an Autofensterscheiben. Regisseur Christoph Schlingensief schickt dem Kinobesucher in 63 Minuten „Das deutsche Kettensägenmassaker“ das ratternde Geräusch der johlenden Kettensäge in die Ohren. Und zu guter Letzt durchdringt die Hilfeschreie flüchtender Pärchen ein ostdeutscher Dialekt. Oder zumindest das, was sich die Filmemacher damals darunter vorstellten.

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„Ich habe viele Sachen nicht verstanden“, sagt eine der Schauspielerinnen, Susanne Bredehöft, 30 Jahre später im „Gloria“ der Lichtburg Oberhausen. „Auch im Endprodukt nicht.“ Oberhausens verstorbenes Multitalent Christoph Schlingensief inszenierte die Wiedervereinigung damals als Schlachtplatte. Ostdeutsche werden im Westen von einer Metzgerfamilie durch den Fleischwolf gedreht – im bildlichen wie übertragenen Sinne.

Schlingensief: Bissiger Kommentar, kein Einheitsbrei

Die rotierende Kapitalismus-Kritik thematisierte Schlingensief nicht Jahre später, sondern kurz nach den läutenden Glocken am Brandenburger Tor, den pfeifenden Raketen und der durch die Politprominenz angestimmten Nationalhymne. Eine Energieleistung eines Provokateurs und Herausforderung für die Schauspieler.

Kettensägenmassaker zum Tag der Deutschen Einheit: Cutterin Ariane Traub, Kuratorin Elena Liebenstein und Schauspielerin Susanne Bredehöft schauten am Samstag in der Lichtburg Oberhausen zu.
Kettensägenmassaker zum Tag der Deutschen Einheit: Cutterin Ariane Traub, Kuratorin Elena Liebenstein und Schauspielerin Susanne Bredehöft schauten am Samstag in der Lichtburg Oberhausen zu. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

„Es war wichtig, dass man drauf war“, sagt Bredehöft, die auch drei Jahrzehnte später immer wieder neue Details im Film entdeckt und von der Schönheit der Bilder schwärmt. „Zum damaligen Zeitpunkt war der Film visionär.“ Ein bissiger Kommentar, kein Einheitsbrei.

Das Theater Oberhausen zeigt den Klassiker, natürlich am Tag der Deutschen Einheit, in seiner Schlingensief-Filmreihe – Kuratorin Elena Liebenstein führt durch den Abend. Neben Bredehöft, die lange in Oberhausen auf der Bühne stand, später im „Tatort“ und bei „SK Kölsch“ im TV spielte, ist auch Cutterin Ariane Traub dabei.

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Beim Talk nach dem Film hält sie einen Schatz in der Hand – Schlingensiefs Originaldrehbuch. „Es ging damals um das mulmige Gefühl, jetzt mitjubeln zu müssen. Eine Zeit, in der kein Aber zu hören war“, erklärt Traub, zwischenzeitlich auch Schlingensiefs Lebenspartnerin, das Einheitsthema als Horrorfilm.

Schlingensief: Dreharbeiten im Duisburger Landschaftspark

Vieles kam beim Meister aus dem Bauch heraus, finden die Weggefährten. Das Kunstverständnis, die Energie andere für die Sache zu gewinnen. Der blutige Horror als Gesellschaftskritik, er bleibt für einige eine verstörende Kombination.

Wurstmaschinen von hiesigen Betrieben

Der Schlingensief-Klassiker „Das deutsche Kettensägenmassaker“ ist neben „100 Jahre Adolf Hitler“ und „Terror 2000“ ein Teil seiner Deutschland-Trilogie. Weltstar Udo Kier („Blade“, Armageddon“) ist in einer Nebenrolle zu sehen und agierte auch als Regieassistent.

Der 1990 gedrehte Kinofilm beinhaltet viele blutige Horroreffekte. Metzgereibetriebe aus Oberhausen stellten dem Filmemacher für die Low-Budget-Produktion Fleisch- und Wurstwaren sowie die Verarbeitungsmaschinen zur Verfügung.

Der Filmtitel sucht die Nähe zum Splatter-Klassiker „Texas Chain Saw Massacre“ („Blutgericht in Texas“) von Tobe Hooper und brachte der Einheitsabrechnung wohl den erstaunlich großen Videotheken-Erfolg ein. Bredehöft: „Es stecken in jedem Menschen diese Abgründe. Christoph hat gezeigt, wie Leute reagieren, wenn man das Kleinbürgerliche weglässt.“

Schlingensief drehte seinen Film übrigens im Landschaftspark Nord in Duisburg. „Der war damals noch nicht erschlossen. Da hingen noch Fotos in den Spinden. Man hatte das Gefühl, dass die Leute gerade erst ihren Arbeitsplatz verlassen hatten“, erzählt Ariane Traub von den kurzen Dreharbeiten in der urbanen Kulisse. „Auf der anderen Seite wucherten überall Sträucher und die Natur war dabei, sich das Gelände zurückzuerobern.“