Oberhausen. Der Sterkrader Gymnasiast und Chirurgensohn feiert als weltbekannter Meisterregisseur 75. Geburtstag. Ein Mitschüler hält bis heute Kontakt.
„Wer wohnt schon in Düsseldorf?“ Als Kenner der Popmusik dürfte Wim Wenders dieses Grönemeyer-Zitat prompt erkennen – und damit umzugehen wissen. In Feuilletons und Filmlexika ist der jetzt 75-jährige Schöpfer von „Paris, Texas“ und „Der Himmel über Berlin“ nun mal Düsseldorfer. Zugegeben, dort kam Wilhelm Ernst Wenders am 14. August 1945 zur Welt. Aber die prägenden Pennälerjahre erlebte der Sohn eines Chefarztes am Sterkrader St. Clemens-Hospital dann doch in der Stadt der Internationalen Kurzfilmtage.
Mit Bildbänden über Wim Wenders’ Oeuvre ließen sich Regale füllen. Doch die umfassende Biographie ist auch kurz vor seinem 75. noch nicht publiziert. Einzig Marcel Wehn widmete sich vor 13 Jahren in seinem Interview-Film „Von einem der auszog“ auch Wim Wenders’ frühen Jahren. Noch gibt es Oberhausener, die den Sohn eines konservativ-katholischen Elternhauses als Schüler erlebt haben – und die bis heute den freundschaftlichen Kontakt halten. Das gilt für Johannes Jürgen Heiermann, Wenders’ Mitschüler bis zur Mittleren Reife, als der Sterkrader seine Ausbildung zum Juwelier begann.
Heiermann erinnert sich lebhaft an eine Begegnung zweier Größen des europäischen Kinos – die natürlich damals beide nichts von ihrer späteren Bedeutung ahnten. Aber filmverrückt war der erst 14-jährige Wim Wenders schon damals. Oberhausens Internationale Kurzfilmtage – pardon: „Westdeutsche Kulturfilmtage“ zu jener Zeit – kreuzten sich noch mit der „fünften Jahreszeit“ und boten festlich beim „Ball der Na(rr)tionen“ alles auf.
Polanski wirkte wie ein Mitschüler der 14-Jährigen
„Wim meinte, man könne dort interessante Leute vom Film treffen“, erinnert sich Johannes Jürgen Heiermann. „Wir waren zu viert und kauften zwei Eintrittskarten. Zwei gingen in den Saal, einer kam mit zwei Karten wieder heraus, zwei gingen wieder herein, bis wir dann alle drin waren.“ Eintrittskarten für 10 DM waren eben für Oberschüler damals schier unerschwinglich. Bei der Promi-Schau im Festgetümmel sei Wenders bestens „im Thema“ gewesen – und der einzige, der den aktuellen Kurzfilmtage-Preisträger aus Polen erkannte.
Für seine Sterkrader Mitschüler wirkte der 26-jährige Roman Polanski selbst wie ein Pennäler: so klein, schmal und jungenhaft. „Wir prosteten ihm zu seinem Erfolg respektlos zu. Wenn wir geahnt hätten“, meint Heiermann rückblickend, welche Weltkarrieren sich dort für eine kurzen Moment kreuzten: „Wir hätten diesen Abend als Höhepunkt unseres jungen Lebens gefeiert.“
Denn „Filmemacher“ im kleinsten Maßstab war schon der Gymnasiast Wim Wenders. Der Chirurgensohn besaß schon eine Schmalfilmkamera mit Kurbel. J. J. Heiermann, der spätere Juwelier und Uhrmacher, der noch einige Wenders-Filmpremieren in der Essener Lichtburg miterleben sollte, erinnert seinen Mitschüler – trotz des tolldreisten „Ball der Na(rr)tionen“-Coups – als „eigentlich zurückhaltenden“ Jugendlichen.
„Bei den Kurzfilmtagen jahrelang jeden Film gesehen“
Wim Wenders selbst konnte noch Jahrzehnte später schwärmen: „Hier habe ich meine erste Zigarette geraucht. Hier habe ich bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen jahrelang jeden Film gesehen, mich alljährlich gefreut auf diese Tage in Oberhausen.“ Dem zwölf Jahre älteren Roman Polanski ging’s übrigens ähnlich: „Der Kurzfilm ist ein großartiger erster Schritt für einen jungen Filmemacher. So habe ich angefangen, und Oberhausen war eine wichtige Station meiner Entwicklung zum Regisseur.“
Oberhausen stiftete allerdings noch eine andere Begegnung – und die sollte weit bedeutender sein für Wim Wenders’ Schaffen: Bereits als Student sah Wenders 1966 im Theater Oberhausen die Uraufführung von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“. Es war Handkes Wunderjahr, als Oberhausens Regie-Berserker Günther Büch mit dem 23-Jährigen aus Graz eine heiß diskutierte Premiere nach der anderen produzierte.
Mit dem gemeinsamen Faible für Rockmusik
Der Student aus Sterkrade, der zwischenzeitlich an der berühmten „Cinémathèque francaise“ in Paris die Highlights der Kinogeschichte in sich aufsaugen sollte, und der wenig ältere „Beat-Poet“, wie es damals hieß, fanden nicht nur in ihrem Faible für Rockmusik zusammen. Fast zwangsläufig hieß der erste gemeinsame Kurzfilm „3 Amerikanische LP’s“.
Und diese auf der Bühne und bei den Kurzfilmtagen vertiefte Begegnung eines später weltweit Anerkannten mit einem europaweit umstrittenen Nobelpreisträger führte immerhin zu fünffacher Zusammenarbeit. Das vorerst letzte Kapitel war „Die schönen Tage von Aranjuez“, der auf Französisch gedrehte Spielfilm von 2016.