Essen/Stockholm. Er war gerührt: Die Stockholmer Akademie ehrt den österreichischen Dramatiker, Romancier und Essayisten Peter Handke (76).

Peter Handke sei „sehr, sehr gerührt“ gewesen, sagte der Vorsitzende des Nobelpreiskomitees, als der Schriftsteller daheim in Chaville bei Paris am Telefon hörte, dass man ihm den Nobelpreis verleihen will. Und dann habe Handke auf Deutsch gefragt: „Ist das wahr?“

Dabei ist Handke sonst so oft und eindeutig getrieben von dem tiefen Bedürfnis, nicht einverstanden zu sein mit den meisten anderen. Es fing schon mit zwei Paukenschlägen an, als der 24-Jährige 1966 an die Öffentlichkeit trat: der Beschimpfung der „Gruppe 47“ bei ihrer Tagung in Princeton als „beschreibungsimpotent“ – und der Ausweitung dieser Tätigkeit auf der Bühne mit der von Claus Peymann uraufgeführten „Publikumsbeschimpfung“.

Mülheimer Dramatikerpreis für „Immer noch Sturm“

Sperrig zu sein, Quertreiber voller Eigensinn bis zum Störrischen, Vorkämpfer der Gegenposition aus Prinzip, das freilich macht den öffentlichen Peter Handke aus. Dass er zu beinahe harmonischen, allemal jedoch punktgenauen, sorgfältig abwägenden Gesprächen in der Lage ist, das hat nicht nur der Essener „Schreibheft“-Herausgeber Norbert Wehr erfahren. Und gegen die meisten Ehrendoktorate, die meisten Literaturpreise hat sich Peter Handke ja auch nicht gesträubt wie etwa den Mülheimer Dramatikerpreis 2012 für sein Stück „Immer noch Sturm“.

Oder auch den Bambi für seinen Film „Die linkshändige Frau“, den Handke gemeinsam mit dem jungen Wim Wenders gedreht hatte. Ihn lernte Handke Ende der 60er-Jahre in Oberhausen kennen, wo einige seiner Stücke uraufgeführt wurden. Wenders wurde ein Freund fürs Leben und der Drehbuchpartner für den Film „Der Himmel über Berlin“. Ohnehin fand Handke oft Titel, die zum geflügelten Wort werden, „Der kurze Brief zum langen Abschied“, „Chronik der laufenden Ereignisse“, „Wunschloses Unglück“, „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Texte, die schon kurz nach dem Erscheinen zur Pflichtlektüre an Schulen wurden (und wegen ihres Windungsreichtums manchen allzu früh die Freude an Literatur vergällten).

„Das Jahr in der Niemandsbucht“ und die Versuche

Die andere Seite von Handkes Eigensinn ist schließlich der Drang, wissen zu wollen, was hinter den Dingen steckt, so genau wie möglich, zur Not mit wilden Spekulationen und Tiefenbohrungen im Trüben. Diese Sehnsucht ließ manche Bücher wie „Das Jahr in der Niemandsbucht“ ziegelsteindick anschwellen oder reichlich verquast ausfallen. Seine vielleicht genauesten Bücher aber sind die relativ schmalen, gedankenreichen „Versuche“ – über „die Müdigkeit“, „die Jukebox“, „den geglückten Tag“ oder auch „den Stillen Ort“. Darin versucht Handke mitunter, den Nebel zwischen dem Inferno der Gegenwart und einer menschlichen Utopie ein wenig zu lichten.

Handke, geboren am Nikolaustag des Jahres 1942, erfuhr im Alter von 18 Jahren von seiner slowenischen Mutter, dass er bis dahin den falschen Mann für seinen Vater gehalten hatte, tatsächlich war es ein deutscher Wehrmachtssoldat. Handkes häufiger Zweifel mündet aber nie in Verzweiflung, sein Sinn für Humor ist gar nicht so klein (man lese nur „Lucie im Wald mit den Dingsda“).

Die Rede am Milosevic-Grab und der Skandal um den Heine-Preis

Stimmen zur Entscheidung für Handke

Österreichs Staatspräsident Alexander van der Bellen twitterte zum Nobelpreis: „Wir haben Peter Handke viel zu verdanken. Ich hoffe, er weiß das.“ Er leuchte „Zwischenräume des Daseins“ aus und werfe „einen behutsamen Blick auf das Fühlen und Denken“ seiner Figuren.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) nannte Peter Handke einen „großen Sprachkünstler und Sprachtüftler, der gerade in den kleinen Dingen oft die große Welt“ finde und „sich nie dem Zeitgeist unterworfen“ habe.

Der Schweizer Autor Adolf Muschg begrüßte die Entscheidung und rechnete es dem Nobel-Komitee hoch an, dass es Handkes Literatur würdigt und seine politische Haltung sowie die „gewisse Macho-Komponente“ in den Hintergrund rückte.

Unübersehbar ist sein Faible für schöne Schauspielerinnen: Der ersten Ehefrau Libgart Schwarz folgten Herzensverbindungen mit Marie Colbin, Sophie Semin und Katja Flint. Die Romanze seines Lebens aber ist Slowenien. Je mehr der Vielvölkerstaat Jugoslawien in den 90er-Jahren zerfiel, desto mehr sah Handke in ihm, nicht frei von Stilisierungen, eine Paradiesinsel im Blutmeer der Geschichte, mit dem Sieg der Partisanen über die Nazis als Gloriole. Als Handke 1996 zwei Reiseberichte über das kriegszerfurchte Serbien schrieb („Winterliche Reise zu den Flüssen ...“), das im Westen als Aggressor und Hauptschuldiger der Balkan-Kriege galt, schlugen die Wellen der Empörung hoch. Handke betonte, es gehe ihm um Gegenbilder zu den medial grassierenden Klischees über Ex-Jugoslawien. Dafür ging er extrem weit, bis hin zu einer Rede am Grab des Kriegsverbrechers Slobodan Milosevic. Das sorgte schließlich auch dafür, dass sich 2006 einige Düsseldorfer Ratsleute aufschwangen, Handke den Heine-Preis, den ihm eine Kritiker-Jury zugesprochen hatte, vorzuenthalten. Der Nobelpreisträger des Jahres 2019 verzichtete auf den mit 50.000 Euro dotierten Preis und stiftete einen alternativen Heine-Preis.

Die vom Suhrkamp Verlag herausgegebene „Handke Bibliothek“, in der alles enthalten ist, was er jemals in Buchform veröffentlicht hat, umfasst über 11.400 Seiten. Und doch wird sich einer wie er vom Nobelpreis nicht erschlagen lassen, sondern weiter schreiben. Wahrscheinlich sogar eigensinniger denn je.