Oberhausen. Schon als Schüler war Klaus Weise, der Intendant der 1990er Jahre, entflammt für Industrie und Kultur. Seine Erinnerungen hat er aufgeschrieben.
Passt das zusammen? Klaus Weise erzählt von der „harten Aufbauarbeit“ am Theater und sagt mit gleichem Schwung: „Das hat geglüht und begeistert.“ Sein Anfangsjahr als jener Intendant, der in der Spielzeit 1991/‘92 das Schauspiel zurück nach Oberhausen brachte, bündelt er schließlich in dem Satz: „Es war ein lustvoller Kampf ums Überleben.“ Das passt.
Dank der großen Retrospektive für Rudolf Holtappel (1923 bis 2013), den die Ludwiggalerie auch als Theaterfotografen würdigt, gibt’s für den 68-jährigen Weise gute Gründe, Oberhausen mal wieder zu besuchen. Miriam Hüning, die Kustodin des Foto-Nachlasses von 360.000 Holtappel-Negativen, hatte den erfolgreichen Theatermacher bereits fürs üppige Rahmenprogramm der Schau mit den schönen Titel „Die Zukunft hat schon begonnen“ gebucht. Der größte Kultur-Lockdown der Geschichte machte daraus erst einmal – Zukunftsmusik.
Dabei wäre Klaus Weise mit seinem erzählerischen Elan sein Eintrittsgeld wert. Und ein Manuskript, das noch seinen Verleger sucht, hätte er auch parat. Auf 250 Seiten hat er seine Erinnerungen an die frühen Jahre aufgeschrieben, von der deutsch-deutschen Kindheit bis zum Aufbruch an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film.
Das Drama traf ihn wie ein Faustschlag
Und Oberhausen gehörte schon damals eine mehrfach prägende Rolle. „Wir sind Flüchtlinge“ – rechtzeitig vor dem Mauerbau zogen Weises vom thüringischen Gera nach Mülheim-Dümpten. Als der Grundschüler dort eines Abends von einer Schuttbrache nach Norden blickte, war er wie vom Donner gerührt: „In Oberhausen brannte der Himmel.“ Den feurigen Schimmer eines Stahlabstichs im Hüttenwerk empfand der junge Klaus Weise wie eine Apokalypse – „nur dass ich das Wort noch nicht kannte“.
Der empfindsame Metzgerssohn ließ sich auch von seinen ersten Theater-Erlebnissen als Oberschüler bis in die Physis erschüttern. Von der ‘68er Revolution, die Günther Büch am Theater Oberhausen entfachte, hat Klaus Weise „Die Räuber“ in lebhafter Erinnerung: eine Bande auf Motorrädern. Bei Antonin Artauds wüster Inzest-Tragödie „Die Cenci“ blutete der Teenager im Parkett aus der Nase. Als hätte ihn das Drama wie ein Faustschlag getroffen.
Rudolf Holtappels Theaterfotos in der Ludwiggalerie
Rudolf Holtappel (1923 bis 2013) war nicht nur der Bühnenfotograf der revolutionären 1960er Jahre unter Schauspieldirektor Günther Büch. Klaus Weise wählt ihn, bewusst an diese Tradition anknüpfend, erneut als Lichtbildner während seiner Intendanz.
Ein Best of aus sechs Jahrzehnten mit der Kamera – von „Blagen“-Bildern bis zur Industriefotografie – zeigt die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen bis zum 6. September in der Ausstellung „Die Zukunft hat schon begonnen“. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro.
Im Katalogbuch zur Ausstellung (29,80 Euro) würdigt Christine Vogt, die Direktorin der Ludwiggalerie, in einem Essay den „Theaterdokumentaristen“ – gerade im Fall Holtappel ein eher unglücklicher Begriff: Denn auch als 70-Jähriger hielt er sich keineswegs nüchtern-dokumentarisch zurück, sondern „erwanderte“ sich stets neue Perspektiven, teils inmitten des Probengeschehens.
Der frühen Nähe zu Oberhausen verdankt Klaus Weise 1970 auch seine Aufnahme an der Hochschule für Fernsehen und Film: Schließlich hatte er mit seiner Super-8-Kamera in den von Thyssen übernommenen GHH-Hallen gefilmt – die abklingende Schwerindustrie in der heutigen Neuen Mitte. „Dank dieser Fotos wurde ich in München aufgenommen.“ Und da München bekanntlich leuchtet, sagte er sich damals in erster Begeisterung: „nie wieder Ruhrgebiet“.
20 Jahre später kam es aber doch anders und Klaus Weise, inzwischen Schauspieldirektor in Darmstadt, gestaltete in Oberhausen den Wechsel vom Musiktheater zum Schauspielhaus. „Uns wurde der schnelle Tod vorausgesagt.“ Dann wagte er es auch noch, mit einem so sperrigen Klassiker wie Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ seine erste Spielzeit zu eröffnen. Amüsiert zitiert er die Kritik einer Abonnentin: „Das ist so leise, Herr Weise.“ Nein, man sollte nur anders hinhören, als beim von der Rampe geträllerten Operetten-Repertoire.
Der Ruhrtriennale den Weg geebnet
Der neue Intendant konnte auch lauter, ließ Punker die Bühne rocken – und wischte selbst die Bierlachen auf. „Mal derb, mal albern, mal artifiziell“ – so erschloss Klaus Weise für sein mit 27 Schauspielerinnen und Schauspielern beachtlich großes Ensemble neue Spielstätten vom Gasometer über die Halde Haniel bis zur Zeche Zollverein. „Orte erzählen Geschichte.“ Rückblickend meint der 68-Jährige selbstbewusst: „Wir haben die Ruhrtriennale auf den Weg gebracht.“ Ein eigenes großes Kapitel Theatergeschichte.
Er selbst inszenierte Musiktheater aber erst mit seiner neuen Aufgabe als Generalintendant des Dreispartenhauses in Bonn – „ein völlig anderes Biotop“: Nach der größten deutschen Stadt ohne Hochschule ging’s 2003 für zehn Jahre in die ehemalige Bundeshauptstadt, vormals kurfürstliche Residenz, ausgestattet mit der höchsten Akademikerdichte der Republik – und mit einer ausgeprägten „Wir sind wer“-Haltung.
Ein bildmächtiger Abflug in die Freiheit
„Für die Schauspiel-Sparte hatte ich aber in Bonn nicht mehr Geld als hier“, betont der Theatermacher. In Bonn wie in Oberhausen musste er beim Antritt seiner Intendanz scharfe Sparvorgaben umsetzen, betont aber: „Künstlerisch ging es auf.“ Fragt man ihn nach dem Wirken seiner Nachfolger am Theater Oberhausen, verweist der sprudelnde Erzähler taktvoll auf die Pflichten eines Generalintendanten mit drei Spielstätten und 350 Mitarbeitern: „Das hat mich sehr absorbiert.“
Und Rudolf Holtappel, der nach den wilden 1960ern der Ära Büch dank Klaus Weise erneut die Proben aus allen Winkeln der Bühne, teils inmitten des Geschehens, fotografierte? Da hat der Gast der Ludwiggalerie seinen Foto-Favoriten sofort parat. „Es gibt kein besseres Foto“, jedenfalls keines, das die Stimmung von Melancholie und Aufbruch in Tschechows „Die Möwe“ so auf den Punkt bringt: In Bewegungsunschärfe blickt die Nina Michailowna dieser Weise-Inszenierung über ihre Schulter auf das ins Bild montierte Tier. Alles andere als ein dokumentarisches Probenfoto – aber ein bildmächtiger Abflug in die Freiheit.