Oberhausen. Im Depot der Ludwiggalerie erschließt Miriam Hüning den Nachlass des Revierchronisten aus geschätzt 360.000 Negativen und hunderten Abzügen.
„Im Museum hat man nie Platz.“ Christine Vogt weiß das Wörtchen „nie“ effektsicher zu betonen. „Jede Ecke füllt sich sofort.“ Zum Beispiel mit geschätzt 360.000 Negativen, dazu hunderten Abzügen, dutzenden Fotobüchern und gebundenen Zeitschriften – und nicht zuletzt einem ganzen Regal voller Kameras und Dunkelkammer-Utensilien. Aber für den Nachlass von Rudolf Holtappel hat die Direktorin der Ludwiggalerie gerne Platz geschaffen im Kleinen Schloss.
Museumswürdig: die Künstlerwohnung im Theaterviertel
Vor zwei Jahren erwarb die Stadt Oberhausen für 50.000 Euro den Nachlass des großen Ruhrgebiets-Chronisten Rudolf Holtappel (1923 bis 2013) – und am liebsten hätte Christine Vogt damals die komplette Künstlerwohnung im Theaterviertel zu einem Außenposten „ihrer“ Galerie gemacht. Stattdessen erschließt und ordnet nun Miriam Hüning im Schloss-Depot einen Bestand, dessen älteste Negative von 1957 stammen – und dessen jüngste Bild-Experimente aus Holtappels letztem Lebensjahr.
„Ein Museum ist wie ein Umzugsunternehmen“, philosophiert Christine Vogt. „Man schleppt immer Sachen durch die Gegend.“ Für diesen Nachlass galt das besonders: Von Bürorondellen voller Negativ-Ordner bis zu Entwicklerwannen nahm das Galerie-Team „erstmal alles mit“, wie die Direktorin sagt.
„Jede Menge Dias und Digitales“
Der entschiedene Wahl-Oberhausener Holtappel hatte seine Fans dank de
r so humor- wie liebevollen „Blagen“-Fotos, dank der „Menschen im Kaufhaus“ und des rauen Charmes seiner Stadtlandschaften. Alles klassisch in Schwarz-Weiß. Doch Miriam Hüning verweist auch auf einen stattlichen Bestand an Farbbildern, „jede Menge Dias und Digitales“. Denn in seinem 90-jährigen Leben habe Holtappel „fotografiert bis zum letzten Atemzug“.
Miriam Hüning, die 30-jährige Essenerin, hat selbst zwei Fotobücher gestaltet, zählt seit 2012 zur Jury des Deutschen Jugendfotopreises und schrieb ihre Masterarbeit an der Folkwang Universität der Künste über Thomas Demand, den Fotografen akribisch aus Papier erbauter Kulissen. Ein derart geschulter Blick entdeckt natürlich auch Neues im Oeuvre des manchen schon allzu vertraut erscheinenden Kaufhaus-, Firmen- und Theater-Fotografen: „Seine Aufnahmen für Henkel waren bisher unberührtes Land“, sagt Miriam Hüning. Für den Düsseldorfer Konsumgüterkonzern porträtierte Holtappel Mitarbeiter bis in die Chefetage, arrangierte aber auch Warenpräsentationen.
„Man kann sich darin versenken“, sagt Miriam Hüning über ihren vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) finanzierten Arbeitsplatz. „Es ist schon ein großer Schatz hier.“ Neben CDs und Speicherkarten, die noch auszuwerten sind, gibt es sogar in einigen der 60 Holtappel-Kameras noch unentwickelte Filme. Mit dem Stadtarchiv teilt sich die Ludwiggalerie einen hochwertigen Scanner, der sogar ausstellungswürdige Prints möglich macht.
Bisher 4000 digitale Datensätze
Auch Rudolf Holtappel gab die Dunkelkammerarbeit lieber weiter an gute Labore. Der kleinere Bestand der Abzüge macht der Erforscherin seines Nachlasses darum etwas mehr Mühe mit dem „Zurücksortieren“. Bei den Negativen aber habe wohl auch Herta Holtappel aufgepasst, dass ihr Mann nicht nachlässig wurde. „Super schön chronologisch“, nennt Miriam Hüning den gewaltigen Bestand „im eigenen Nummernsystem“.
Holtappel war der frühere Beatles-Fotograf
Fotofans haben im kommenden Jahr doppelten Grund zur Vorfreude, denn im Großen Schloss der Ludwiggalerie folgen gleich zwei hochkarätige Ausstellungen. Den Anfang macht bereits am 18. Januar 2020 Linda McCartney (1941 bis 1998) mit „The Sixties and more“.
Rudolf Holtappel, immerhin, fotografierte die Beatles im Juni 1966 sogar bevor Linda Eastman ihren späteren Ehemann Paul nebst John, George und Ringo kennenlernte. Die Werkschau für den „Ruhrgebietschronisten, Theaterdokumentaristen, Warenhausfotografen“, so die Ankündigung, folgt vom 10. Mai bis 6. September 2020.
In einem Monat eröffnet die nächste Ausstellung mit einem ganz anderen Thema: Die „Struwwelpeter“-Schau vom 21. September bis 12. Januar 2020 beleuchtet einen Urahn des Comics „zwischen Faszination und Kinderschreck“. Online informiert ludwiggalerie.de.
Daraus wurden bisher 4000 digitale Datensätze. „In größeren Museen“, weiß Hüning, „arbeiten fünf oder sechs Menschen daran“. Christine Vogt meint zuversichtlich: „Es geht zügig voran.“ Doch selbst bis zur Vernissage der als „fotografische Werkschau“ angekündigten Ausstellung „Rudolf Holtappel – Die Zukunft hat schon begonnen“ im Mai nächsten Jahres kann dieses Konvolut unmöglich digitalisiert sein.
Holtappel selbst entwickelte erst in späten Jahren ein Faible für den Ausstellungsbetrieb, erkannte die Freude des Publikums an seinem Werk. Zu der kleinen Retrospektive zwei Jahre nach seinem Tod, kamen 10.000 Holtappel-Verehrer in die Panoramagalerie. Christine Vogt meint schlicht und treffend: „Seine Fotos gehören jetzt den Oberhausenern.“