Oberhausen. Wie mit langem Vorlauf geplant, ist bis 6. September im Schloss Oberhausen die große Werkschau mit Fotos aus sieben Jahrzehnten zu sehen.
Lauter Lieblingsbilder. Vor allem der Menschenfreund Rudolf Holtappel war eine Institution des Ruhrgebiets – ob mit seinen „Blagen“, allgegenwärtig dank hoher Kalender-Auflagen, mit seinen Menschen im Kaufhaus oder in den damals noch prallvollen Fußgängerzonen. Da braucht es schon die strenge Auslese der Kuratorin, um neben den fotografischen Bestsellern auch die anderen Aspekte aus 63 Schaffensjahren sichtbar zu machen: den Industrie- und Theater-Fotografen ebenso wie den Chronisten einer rasanten Stadtentwicklung.
All das zeigt „Rudolf Holtappel – die Zukunft hat schon begonnen“ als erste umfassende Werkschau mit Bildern aus sieben Jahrzehnten in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen. Eine Punktlandung in Krisenzeiten: Das Strahlen des Museumsteams ist selbst unter den allgegenwärtigen Atemschutzmasken unverkennbar. Am 10. Mai sollte die große Retrospektive eröffnen – und genauso geschieht’s. „Es gleicht einem Wunder“, meint Miriam Hüning, selbst Fotokünstlerin, die sich insgesamt vier Jahre dem von der Stadt Oberhausen erworbenen Nachlass Rudolf Holtappels (1923 bis 2013) widmen darf. Denn noch sind längst nicht alle der rund 360.000 Negative aus der Wohnung des Fotografen im Theaterviertel erschlossen.
Puder für die glänzende Stirn des Persil-Manns
Die Kuratorin machte zudem, erstmals überhaupt, Holtappels Aufnahmen für den Düsseldorfer Henkel-Konzern zugänglich: Und neben imposanten Werkskulissen oder dem Flaschen-Stillleben einer „Parfümorgel“ suchte und fand der Menschenfreund auch im klinisch-reinen Arbeitsleben das Allzumenschliche: In Gestalt der Werksküche, wo in extragroßen Töpfen tüchtig gerührt wurde. Und er zeigt die für die Babyboomer-Generation unvergessliche Werbeikone des Persil-Manns („Da weiß man, was man hat. Guten Abend!“) – allerdings etwas angespannt blickend, während ihm eine Maskenbildnerin die glänzende Stirn tupft. Ein weiteres potenzielles Lieblingsbild aus dem Konzernarchiv.
Doch Rudolf Holtappel kann auch Glamour, fotografierte für Karstadt Models in Paris – und eben nicht nur das bekannte Schlussverkaufs-Getümmel. Mit seiner Kleinbildkamera lief er inmitten der bunten Warenwelt zu ganz großer Form auf und fotografierte (nach wie vor bevorzugt in Schwarz-weiß) Kundinnen und Kunden, denen die Qual der Wahl die Stirn furcht oder die ein Päuschen brauchen: Er zieht an der Zigarette, sie knackt die Wurst.
„Später wird es heißen: Es war einmal“
Selbst dort, wo Menschen vermeintlich zur „Staffage“ werden, nämlich vor den so gewaltigen wie inzwischen längst abgeräumten Industriekulissen, sind sie für diesen Fotografen unverzichtbar: Auch wenn er die HOAG-Hochöfen ins Bild setzt oder die Zeche Sterkrade, bleibt dieser Industriefotograf gerne Menschenbildner – und damit der Antipode des unterkühlt-sachlichen Becher-Blicks.
Kein Rahmenprogramm, aber ein stolzer Katalog
Die Ausstellung „Rudolf Holtappel – die Zukunft hat schon begonnen“ öffnet für jeweils 70 Besucher gleichzeitig. Wer keine geeignete Atemschutzmaske dabei hat, erhält an der Kasse für 2 Euro ein Einwegmodell. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro.
Gäste von Revierliterat Frank Goosen bis Theaterintendant Klaus Weise waren für das Begleitprogramm angekündigt: Es ist Corona-bedingt gestrichen, genauso wie das museumspädagogische Angebot.
Dafür ist der umfassende Katalog aus dem Kettler-Verlag, herausgegeben von Miriam Hüning und Christine Vogt, weit mehr als ein Trösterchen: Auf 270 Seiten bringt er den Farb- wie den Schwarz-weiß-Fotografen Rudolf Holtappel zu bester Geltung, erhältlich für 29,80 Euro im Museumsshop und Buchhandel.
Für Oberhausener zumal war Rudolf Holtappel ein einzigartiger Langzeit-Chronist des Stadtbildes und seiner wahrlich umwälzenden Veränderungen: Die Karussells der Fronleichnamskirmes knubbeln sich nicht erst seit den 1970ern – doch wo wäre heute diese Silhouette am Bildhorizont aus Schloten und Fördertürmen? Selbst die Siedlung Eisenheim wirkt heute durchaus bürgerlicher als auf jenem Bild von 1970, als ihr Erhalt noch heftig zur Debatte stand.
„Später wird es heißen: Es war einmal“, so zitiert Miriam Hüning den 66 Jahre Älteren. Rudolf Holtappel war sich seiner Zeitzeugenschaft eines heute Strukturwandel genannten Umbruchs sehr bewusst: So fotografierte er Demonstrationen der Concordia-Bergleute, die im Sonntagsstaat in die Stadt zogen – und im Theater die revoluzzerhaft auftrumpfenden Inszenierungen von Günther Büch. Selbst die 280 Bilder dieser Ausstellung und ein 270 Seiten mächtiger Katalog können dieses Oeuvre kaum bändigen.