Oberhausen. Auf 44 Seiten erinnert das Heft der Geschichtswerkstatt Oberhausen an Industriellengräber sowie das Kriegsende 1945 und hat die Zukunft im Blick.

Die Nachricht könnte vielleicht selbst dem geschichtsbewussten „Burgherrn“ Walter Paßgang die Brille beschlagen: „Seine“ Burg Vondern als stolzer Sitz einer Hochschule? In der bisher größten deutschen Stadt ohne Hochschule? Die Geschichte der „Arbeiterhochschule Burg Vondern“ ist kein Aprilscherz, sondern ein Kapitel Oberhausener Bildungsgeschichte, aufgeblättert von Christoph Strahl im neuen „Schichtwechsel“, dem Journal der Geschichtswerkstatt Oberhausen.

Sein Werk „Grabe wo du stehst“ inspirierte auch die Geschichtswerkstatt: der schwedische Autor Sven Lindqvist.
Sein Werk „Grabe wo du stehst“ inspirierte auch die Geschichtswerkstatt: der schwedische Autor Sven Lindqvist. © Geschichtswerkstatt Oberhausen | Frankie Fouganthin

Der mit neun Seiten umfänglichste Text hat es zwar nicht auf die Titelseite der Ausgabe 1/2020 gebracht, ist aber allemal ein lesenswerter Rückblick auf eine Bildungs-Utopie. Der für seinen tapferen Widerstand gegen die NS-Tyrannei von den Stadthistorikern gerne gewürdigte Priester Dr. Joseph Cornelius Rossaint (1902 bis 1991) hatte in der frühesten Nachkriegszeit die Anregung für eine „hohe Schule“ der Arbeiterschaft gegeben. Die VHS war 1947 noch nicht wieder am Start; der später so berühmte Hilmar Hoffmann leitete als 23-Jähriger „Die Brücke“, das von den Briten gestiftete Bildungsinstitut.

Statt Burg Vondern das trutzige Hitlerjugendheim

Die Gründer der „Arbeiterhochschule Burg Vondern“ propagierten – anders als die VHS – das Ideal der „Heimvolkshochschule“, also des Lernens wie in einem Internat, heutigen Bildungsurlauben vergleichbar. Doch die gibt’s in Deutschland erst seit 1974 – und auch die Burg Vondern sollte nicht zur Arbeiterakademie avancieren. Stattdessen überließ die Stadt den katholischen Organisationen in Osterfeld das einstige Hitlerjugendheim: Und das hatte mit seinem trutzigen Eckturm sogar etwas Burghaftes.

Historische Grabstätten in neuem Glanz: Friedhofskirchmeister Frank Giga ließ die Industriellengräber in Sterkrade restaurieren.
Historische Grabstätten in neuem Glanz: Friedhofskirchmeister Frank Giga ließ die Industriellengräber in Sterkrade restaurieren. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Quasi als Report in eigener Sache der Geschichtswerkstatt erzählt Klaus Offergeld von der Freundschaft zwischen Manfred Dammeyer, Oberhausens langjährigem VHS-Direktor und später Minister im Kabinett von Johannes Rau, und Sven Lindqvist (1932 bis 2019). Der in Skandinavien und der englischsprachigen Welt berühmte Autor hatte mit „Grabe wo du stehst“ ein unerreicht praxisnahes Handbuch der nicht-akademischen Geschichtsforschung geschrieben. Gedacht für die Enkel und Urenkel schwedischer Auswanderer des 19. Jahrhunderts, war es auch Inspiration für deutsche Geschichtswerkstätten.

Kunstvoll gestaltete Grabmäler perfekt restauriert

Zurück bis in die Pioniertage der ersten Industriellen-Generation um 1800 führt Christoph Strahls Bericht über die Industriellengräber auf dem evangelischen Friedhof in Sterkrade. Dort hatte Frank Giga als ehrenamtlicher Friedhofskirchmeister die Initiative ergriffen, einen Mäzen im Haniel-Konzern gefunden und dafür gesorgt, dass die kunstvoll gestalteten Grabmäler perfekt restauriert wurden.

Frische Erinnerung: der junge Niederländer Andries ter Brugge (hier 1945 in US-Uniform) schrieb bereits 1947 über seine Zeit als Zwangsarbeiter in Oberhausen.
Frische Erinnerung: der junge Niederländer Andries ter Brugge (hier 1945 in US-Uniform) schrieb bereits 1947 über seine Zeit als Zwangsarbeiter in Oberhausen. © Gedenkhalle Oberhausen

An das Kriegsende vor 75 Jahren erinnert Klaus Offergeld mit einem Bericht und einer Buch-Empfehlung: Clemens Heinrichs von der Gedenkhalle hat unter dem Titel „Zwangsarbeit und Befreiung“ (Verlag Karl Maria Laufen) die Erinnerungen von Andries ter Brugge herausgegeben sowie um Dokumente und Essays ergänzt. Der heute 95-jährige Niederländer ter Brugge hatte seinen Text bereits 1947 verfasst: in frischer Erinnerung, so detailreich wie differenziert bewertend.

Warten auf „Die Zukunft im Blick“

Dem Stadtarchiv als Herausgeber gilt die zweite Buchempfehlung von André Wilger: „Aufbruch und Maloche“ (Wartberg Verlag) ist ein Bildband der 1960er – genau das Richtige für Tausende Oberhausener Babyboomer.

Das Buchgestöber gibt’s 2020 am 3. Oktober

Das neue „Schichtwechsel“-Heft, 44 Seiten stark, gibt’s für 3,50 Euro im Buchhandel und vielen Verkaufsstellen, ältere Ausgaben zum gleichen Preis über geschichtswerkstatt-oberhausen.de oder 0208 - 30 78 350. Die im Heft empfohlenen Bücher kosten 18 Euro für „Zwangsarbeit und Befreiung“ sowie 19,90 Euro für „Aufbruch und Maloche“.

Übrigens lohnt auch ein Blick auf die Heft-Rückseite. Denn dort erfährt man vom neuen Termin des beliebten „Buchgestöbers“: Statt im Mai präsentiert sich der größte Büchermarkt des Ruhrgebiets nun am Tag der deutschen Einheit, 3. Oktober, natürlich wieder rund ums Domizil der Geschichtswerkstatt im Zentrum Altenberg.

Last, not least die Titelgeschichte des neuen „Schichtwechsel“-Heftes. „Die Zukunft im Blick“ ist in der Tat genau das: Zukunftsmusik. Denn sie verweist auf eine Fotoausstellung zum 100-jährigen Bestehen des „Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk“ (heute RVR) im Peter-Behrens-Bau. Doch das Dickschiff und Depot des LVR-Industriemuseums hat leider noch nicht wieder geöffnet. Da sind die Geschichtsbewussten ihrer Zeit mal vorausgeprescht.