Oberhausen. In dieser Woche kommen die letzten Stücke des Oberhausener Urgesteins Babcock unter den Hammer. Die Beschäftigten sind verbittert und resigniert.

Das Skelett des Oberhausener Urgesteins Babcock steht in dieser Woche zum Verkauf. Große Maschinen und kleine Werkzeuge finden bei der Insolvenzversteigerung einen neuen Besitzer, zurück bleiben Verbitterung und Resignation. Ein Ortsbesuch.

Ein Rudel roter Hubwagen steht in der Eingangshalle und wartet darauf, bedient zu werden. Nebenan kommt der Geruch des Currywurstwagens nicht gegen die staubige und nach Metall schmeckende Luft an. Der Kärcher ist schmutzig, das Licht schummrig und die mächtigen Maschinen rostig. Es brummt und summt, auf dem Boden liegen Eisenspäne. Die 18.000 Quadratmeter Produktionsfläche machen den Eindruck, als hätten die Mitarbeiter gestern noch Anlagenteile gefertigt.

Insolvenzversteigerung statt Tag der offenen Tür bei Babcock

Lediglich die vielen schwarzen Nummern auf weißem Grund und Menschen in Straßenklamotten zeigen, dass bei Babcock Production Solutions (früher: Babcock Fertigungszentrum) kein Tag der offenen Tür über die Bühne geht – sondern dass der Insolvenzversteigerer das Tafelsilber der Firma unter den Hammer bringt. Der über ein Jahrhundert alte Maschinenbauer ist zum dritten Mal in diesem Jahrtausend pleite, doch in dieser Woche stirbt die Hoffnung auf Rettung endgültig.

Prokurist Dirk Biermann (links) und Geschäftsführer der Venta Industrieversteigerungen GmbH Rolf Stankowski (rechts) verhandeln Preise während der Zwangsversteigerung der Firma Babcock.
Prokurist Dirk Biermann (links) und Geschäftsführer der Venta Industrieversteigerungen GmbH Rolf Stankowski (rechts) verhandeln Preise während der Zwangsversteigerung der Firma Babcock. © FUNKE Foto Services | Jill Abanico

Um kurz nach zwölf rufen also Rolf Stankowski und Dirk Biermann zur Ordnung und beginnen mit der Versteigerung. Die Gelenkteleskoparbeitsbühne „Haulotte“ für 8500 Euro, die Drehmaschine von Böhringer mit hochwertigem Zubehör für 37.000 Euro, das vertikale Bearbeitungszentrum „Toyoda“ für 36.000 Euro – was nach barer Münze für Gläubiger und Sozialpläne klingt, ist nach Einschätzung von Betriebsräten und Arbeitern vor Ort nur ein Bruchteil des echten Werts. Stankowski – Typ hochgekrempelte Ärmel – zündet sich eine Zigarette an, während er die Anlagen losschlägt. Am Rand schütteln vier Männer den Kopf.

Babcock-Mitarbeiter fühlen sich im Stich gelassen

Das Quartett gehört zu den verbliebenen 24 Babcock-Mitarbeitern, die namentlich nicht genannt werden möchten. Sie schäumen vor Wut einerseits, trauern andererseits. Sie fühlen sich allein gelassen im Kampf um ihre Arbeitsplätze, die sie teilweise schon seit Jahrzehnten ausfüllen. Sie haben Angst, bald ohne Sicherheiten auf der Straße zu stehen. Und sie sind enttäuscht von Insolvenzverwalter Dirk Hammes, der ihrer Meinung nach im Insolvenzprozess seit Oktober 2019 nicht genug für die Rettung getan habe.

Die Maschinenhallen machen den Eindruck, als wäre dort gestern noch produziert worden.
Die Maschinenhallen machen den Eindruck, als wäre dort gestern noch produziert worden. © Funke Medien Gruppe | Bastian Rosenkranz

Der Insolvenzfachmann selbst, Dirk Hammes, wehrt sich am Telefon entschieden gegen die Vorwürfe. „Ich bin nach 20 Jahren mit knapp 3000 Insolvenzen lernfähig, aber ich kann nicht sehen, was wir in den vergangenen Monaten unterlassen haben sollen.“ Ein belastbares und dem rechtlichen Rahmen entsprechendes Angebot sei trotz großer Bemühungen schlicht nicht eingegangen. Sein Kollege Mark Steh ergänzt: „Das wäre auch nur mit ganz viel Glück passiert.“ Denn mit Gewinn hätte Babcock Production Solutions im Jahre 2019 nicht produziert, wie Dirk Hammes erklärt.

Anfang 2019 keimt kurz Hoffnung auf

Rückblick. Die zweite Insolvenz nach 2002 (damals Babcock Borsig AG) schockiert im August 2018 die Beteiligten. Der damalige Insolvenzverwalter Andreas Röpke setzt alle Hebel in Bewegung: Am Ende steht zu Beginn des Jahres 2019 die Übernahme durch eine deutsch-vietnamesische Investorengruppe. Die nehmen Geld in die Hand und holen sich die Unterstützung von Manager Andreas Kraft ins Boot, der in 40 Berufsjahren schon weltweit Firmen restrukturiert und rentabel gemacht hat.

Übergang in die Transfergesellschaft scheiterte

Die Mitarbeiter der Babcock Production Solutions AG stehen vor der Arbeitslosigkeit – soweit sie nicht schon eine neue Stelle gefunden haben. Der Übergang in eine Transfergesellschaft scheiterte im Januar 2020.

Ein Großteil der verbliebenen 85 Beschäftigten mussten das Unternehmen in den vergangenen Wochen verlassen. Dabei übergab kein Verantwortlicher des Betriebs die Kündigungen, sondern einer der Mitarbeiter holte den Packen der Kündigungen ab und übergab diese den einzelnen Kollegen. 24 Babcöckler wickeln das Traditionsunternehmen jetzt bis Ende Mai ab.

Doch selbst mit seiner Erfahrung und vielen Sparmaßnahmen gelingt es nicht, das Ruder herum zu reißen. „Der Genickbruch war, dass die Investoren alles eins zu eins übernommen haben. Miete, Neben- und Personalkosten waren zu hoch, die Basis hat nicht gestimmt“, sagt der aktuelle Betriebsleiter Kraft am Mittwoch und spricht auch davon, dass die Maschinen am Limit ihres Lebenszyklus’ sind.

Die Babcock-Belegschaft produziert bis zum bitteren Ende

Und dennoch hätten Manager Kraft und die Belegschaft seit Oktober 2019 kräftig angepackt und Aufträge abgearbeitet – mit der Hoffnung auf eine erneute Rettung als Antrieb. Dank Insolvenzgeld anfangs noch mit der 85-köpfigen Mannschaft, ab Januar dieses Jahres dann mit schwindendem Personal. Am Schluss war das dennoch völlig vergeblich.

Das Inventar von Babcock wird in dieser Woche zwangsversteigert.
Das Inventar von Babcock wird in dieser Woche zwangsversteigert. © Funke Medien Gruppe | Bastian Rosenkranz

Zurück in der Gegenwart steht Gerd Schäfer in einer der großen Hallen und wacht über die Reste des Oberhausener Traditionsunternehmens. Der Betriebsrat-Chef stimmt Andreas Kraft in vielen Punkten zu. „Mit einer vernünftigen Strukturierung hätten wir hier Geld verdienen können – auch nach tariflichen Konditionen, aber es wurden zu viele Fehler gemacht und Chancen vertan“, sagt der Mann, der bei Babcock 37 Jahre seines Lebens verbrachte.

Schäfer: „Bitter, die Kollegen gehen zu sehen“

Die letzte logische Konsequenz nennt Schäfer den Ausverkauf, auch wenn ihm das Wie ebenfalls aufstößt. Auf maximalen Erlös hin versteigere das Duo weiter vorne nicht, ärgert sich der Betriebsrat. Und doch beschäftigt Schäfer etwas anderes viel mehr, seine Stimme wird leise. „Es war schon richtig bitter, im Januar und in der letzten Woche die Kollegen gehen zu sehen – von heute auf morgen sind sie nicht mehr da.“

Vor dem Nichts: Ende Mai ist Babcock in Oberhausen abgewickelt.
Vor dem Nichts: Ende Mai ist Babcock in Oberhausen abgewickelt. © Funke Medien Gruppe | Bastian Rosenkranz

Und so geht der verbliebene Teil des einst so stolzen Oberhausener Weltkonzerns seinem Ende entgegen, im Mai ist Schicht. Ein roter Kran zeugt in der Auktionshalle von den alten Zeiten, „Babcock-Werke. Baujahr 1924“ prangt darauf. Die Zeiger an der Wand dagegen stehen auf fünf nach zwölf. Die Uhr von Babcock ist abgelaufen.