Mülheim. Mülheimer Betriebe wünschen sich besser vorbereitete Azubis. Sie sehen vor allem im Bereich Mathematik und Rechtschreibung enorme Defizite. Auch die Einstellung und Motivation der Lehrlinge ließe teilweise zu wünschen übrig

Ein Zimmer soll mit Bodendielen ausgelegt werden. Bei 10 cm breiten Dielen braucht der Tischler 48 Stück. Er nimmt aber Dielen in 12 cm Breite. Wie viele braucht er jetzt? Wüssten Sie die Antwort?

Mit solchen oder ähnlichen Fragestellungen müssen sich nämlich Mülheimer Lehrlinge in einer Tischlerei tagtäglich auseinandersetzen. Doch können sie es auch? Ein klares Nein von Tischlermeister Lothar Schaff. „Egal von welcher Schule unsere Azubis kommen, es gibt Schwierigkeiten“, so Schaff. „Kopfrechnen, Dreisatz, Geometrie… überall gibt es Defizite. Besonders am räumlichen Vorstellungsvermögen hapert es, dabei ist das in unserem Beruf besonders wichtig.“ Ein halbes Jahr dauere es, so Schaff, den Lehrlingen Grundlagen zu vermitteln, was früher nicht nötig war.

Es mangelt an Mathematik und Arbeitseinstellung

Neben der Mathematik und Rechtschreibung mangele es auch extrem an der Arbeitseinstellung, Ordnung und Motivation. Diese Probleme sieht Lothar Schaff aber klar im Elternhaus und nicht in den Schulen. „Heute werden einfach keine Werte mehr vermittelt.“

Bei der Firma Dach- und Fassadenbau „Kessel GmbH“ in Speldorf sieht die Problematik nicht anders aus. Einen guten Lehrling zu finden, bezeichnet Inhaberin Monika Kessel schier als „die berüchtigte Suche nach der Nadel im Heuhaufen“. Seit gut 28 Jahren leitet sie gemeinsam mit Ehemann Helmut Kessel das Familienunternehmen und sieht in den letzten Jahren ganz deutlich den Negativtrend in Sachen Qualifikation. „Wir haben genug Bewerbungen – daran mangelt es nicht“, so Monika Kessel. „Aber die Leistungen der Azubis haben deutlich nachgelassen.“ So seien nur noch die wenigsten in der Lage, Maße zu nehmen und Flächen auszurechnen. „In einem Dachdeckerbetrieb ist das aber das A und O – es muss alles exakt be- und verrechnet werden, sonst regnet es rein.“ Da im Betrieb nicht alles aufgefangen werden kann, was in der Schule versäumt wurde, setzen Monika und Helmut Kessler im Vorfeld auf Praktika, um geeignete Kandidaten zu finden.

Auch positive Erfahrungen

Siemens hat in der Vergangenheit rechtzeitig auf den Negativtrend reagiert. Bereits seit 2008 hat das Unternehmen ein „Benachteiligten-Programm“ ins Leben gerufen und dabei zehn Prozent der Ausbildungsplätze für Bewerber mit schlechten Schulnoten und/oder Migrationshintergrund reserviert. „Die Erfahrungen sind durchweg positiv: Bis auf wenige Ausnahmen war der Einstelltest im Vorfeld unproblematisch, die Ergebnisse fielen sogar unerwartet gut aus“, so Unternehmenssprecher Georg Lohmann. „Die Jugendlichen integrieren sich gut in die jeweiligen Gruppen und sind hoch motiviert.“ Die bisherigen Abschlussnoten lägen tatsächlich nur unwesentlich unter dem allgemeinen Noten-Durchschnitt bei Siemens.

Anders hingegen die Auffassung bei der Mülheimer Berufsfeuerwehr. Hier schlägt man sich schon lange mit der Problematik herum. Von insgesamt 800 Bewerbern schaffen es nur die wenigsten in die Hauptauswahl. „Das absolute K.O.-Kriterium ist bei uns das Diktat“, so André Preißner vom Mülheimer Personalamt. „Aber das ist schon lange so. Etwa die Hälfte fällt beim schriftlichen Auswahlverfahren raus.“ Am Ende bleiben nur noch die übrig, die auch den sportlichen Test bestanden haben. „Es ist dann leider nur noch ein Bruchteil“, so Kai Hübner von der Mülheimer Feuerwehrschule. „Viele der Bewerber überschätzen sich auch schlicht körperlich.“ So werden von insgesamt 800 Bewerbern letztendlich meist nur um die 40 Bewerber zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch geladen.

Umfrage belegt Sorgen regionaler Betriebe

Bei einer Sonder-Umfrage von „Arbeitgeber Ruhr“, an der auch 25 Mülheimer Betriebe teilgenommen haben, kam zutage, dass mehr als 40 Prozent der Unternehmen die potenziellen Lehrlinge als nicht qualifiziert genug ansieht.

„Aber auch der Gesamteindruck der Bewerber lässt doch immer mehr zu wünschen übrig“, sagt Matthias Heidmeier vom Unternehmerverband. „Es ist das Erscheinungsbild, das Auftreten, aber auch das Interesse am potenziellen Arbeitgeber.“ Daher, so Heidmeier, gehen die Unternehmen das Problem schon länger durch stärkere Kooperation mit den Schulen an. So sollen beide Seiten mehr übereinander erfahren und wissen, auf wen sie sich einlassen. Diese verstärkte Zusammenarbeit sei auch als positives Ergebnis der Umfrage zu bewerten.

Dass „Unternehmen schulische Defizite auffangen müssen, ist leider nichts Neues“, weiß Matthias Heidmeier. „Aber“, so betont er, gehe es bei der Umfrage nicht darum, alle über einen Kamm zu scheren: „Wir haben viele Auszubildende, die machen ihren Job toll. Trotzdem müssen wir uns noch intensiver um die kümmern, die auf der Strecke bleiben.“