Mülheim. Im Oktober ziehen 140 Asylbewerber aus Kriegs- und Krisengebieten zur Gustavstraße in Styrum. Die anfängliche Skepsis gegenüber der Maßnahme ist erloschen, die Stimmung unter den Bürgern ist positiv. Viele Mülheimer sprechen den Flüchtlingsfamilien ehrenamtliche Unterstützung zu.
„Ich finde bewundernswert, was hier passiert“, formulierte es die Saarnerin Anna Maria Allegrezza. „In meinem Stadtteil sollten die Leute genauso hilfsbereit sein.“ Freilich war der Zuspruch für die Flüchtlinge sehr groß, als zahlreiche Mülheimer Bürger am Montagabend zur Infoveranstaltung „Asylsuchende in der Gustavstraße“ in die Willy-Brandt-Schule kamen, um mehr über die 140 Asylbewerber zu erfahren, die ab 1. Oktober in 43 Styrumer SWB-Wohnungen untergebracht werden.
Viele Bürger sprachen ihr Mitgefühl für die Flüchtlinge aus und versprachen ihre ehrenamtliche Unterstützung. „Das Ehrenamt ist ein wesentlicher Bestandteil der Flüchtlingsbetreuung. Davon lebt unser Mülheimer Weg“, lobte Sozialdezernent Ulrich Ernst den Einsatz der Bürger. Gestützt werden soll das freiwillige Engagement durch eine fachliche Betreuung aus Sozialarbeitern und einem Rund-um-die-Uhr-Dienst, der dauerhaft als Ansprechpartner für die Flüchtlinge bereitsteht.
Insgesamt halten sich derzeit 530 Asylbewerber in Mülheim auf. Unter den Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten, die an die Gustavstraße ziehen, sind Neuankömmlinge sowie 55 Anwohner, die übergangsweise im Broicher Hildegardishaus untergebracht wurden.
Keine dezentrale Lösung möglich
Als die Siedlungspläne im Juni bekanntgegeben wurden, waren viele Bürger zunächst darüber verärgert, dass ausgerechnet Styrum für die Unterbringung der Flüchtlinge ausgewählt wurde. Kritische Stimmen vermerkten, dass die Stadt mit der Ansiedlung vieler Flüchtlinge an einem Ort ihre Strategie missachte, die Menschen möglichst auf das Stadtgebiet zu verteilen. „Für eine dezentrale Lösung war der Wohnungsmarkt einfach zu erschöpft. Styrum war die einzige Lösung“, begründet Sozialdezernent Ulrich Ernst die damalige Entscheidung.
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Dass ein Stimmungswechsel bei den Styrumern stattgefunden hat, begrüßt Ernst sehr. „Denn die Wohnungen sind auch in finanzieller Hinsicht eine gute Lösung. Sie sind wesentlich billiger als Wohncontainer, die eine Alternative gewesen wären.“ Eine Bereitstellung von Wohncontainern hätte laut Ernst drei Millionen Euro gekostet.
Stadt rechnet mit steigenden Flüchtlingszahlen
Die Kosten für die Renovierung der Wohnungen an der Gustavstraße dagegen belaufen sich auf eine Million Euro. Zelte als Obdach für die Asylsuchenden, wie in Duisburg-Walsum, habe die Stadt kategorisch abgelehnt. „Das war nie eine Option für uns“, betont der Sozialdezernent.
Aufgrund der unsicheren Lage in vielen Ländern rechnet die Stadt mit einer weiter steigenden Anzahl von Flüchtlingen. Ein Konzept für die Unterbringung weiterer Asylbewerber gibt es noch nicht, aber „nach politischem Willen werden in Zukunft keine weiteren Flüchtlinge in Styrum angesiedelt“, sichert Ernst zu. Die Bauten an der Gustavstraße, die nicht von Flüchtlingen bezogen werden, ebenfalls zu renovieren, statt diese, wie geplant bis zum 20. Oktober abzureißen, sieht Ernst nicht als Option.
Zwar gäbe es dadurch genug Platz für zukünftige Flüchtlinge, aber bräuchte man „Feingefühl“ bei der Verteilung: „Wir müssen darauf achten, dass keine verfeindeten Gruppen wie Sunniten und Schiiten zusammenkommen“, erklärt Ernst.
Ressourcen der Schulen erschöpft
Vor weiteren Herausforderung steht die Stadt im schulischen Bereich. „Unsere Ressourcen sind erschöpft“, betont Ingrid Lürig, Leiterin der Willy-Brandt-Schule. 22 Kinder aus Flüchtlingsfamilien habe die Gesamtschule bereits aufgenommen, für weitere Kinder sei kaum Platz. „Wir haben nicht genug Lehrkräfte“, erklärt Lürig.
Für die Flüchtlingskinder – genannt werden sie „Seiteneinsteiger“ - wurde in der Willy-Brandt-Schule eine „Internationale Förderklasse“ eingerichtet, in welcher der Deutschunterricht einen besonderen Stellenwert genießt. Nur im Sport- und Englischunterricht lernen die Flüchtlinge mit anderen Schülern zusammen.
Kinder fungieren als Dolmetscher
In der Grundschule dagegen werden Kinder aus Flüchtlingsfamilien direkt in die Klassen integriert. „Die Kinder kommen in die Klasse, die ihrem Alter entspricht“, erklärt Simone Dausel, Leiterin der Gemeinschaftsgrundschule Styrum. „Und meistens schlagen sie sich dabei richtig gut!“
In 12 Förderstunden pro Woche lernen die Kinder Deutsch außerhalb des regulären Unterrichts. Nach einem halben Jahr, so Dausel, fungieren die Kinder dann meist schon als Dolmetscher für ihre Eltern. Die Eltern selber werden Deutsch in Kursen an der Volkshochschule lernen können.
Nur, wie soll die schulische Integration in Styrum gelingen, wenn die Kapazitäten der Schulen erschöpft sind? „Notfalls müssen wir die Styrumer Flüchtlingskinder in Schulen anderer Stadtteile unterbringen.“, erklärt Ulrich Ernst. „In jedem Fall finden wir eine Lösung.“