Mülheim an der Ruhr. . Es ist eine gleichsam überraschende, wie erfreuliche Entwicklung: Gab es zunächst zahlreiche kritische Stimmen gegen die Pläne, in Mülheim-Broich Flüchtlinge unterzubringen, hat sich die Stimmung mittlerweile positiv verändert. Immer mehr Mülheimer wollen helfen; das zeigen auch andere Aktionen.

Stimmungen können sich ändern, zum Glück: Waren einige Mülheimer anfangs durchaus skeptisch und gereizt, als sie erfuhren, dass im leerstehenden Hildegardishaus an der Kirchstraße Dutzende Flüchtlinge untergebracht werden sollen, sieht die Sache mittlerweile anders aus. Die Kritik ist verebbt, und eine unerwartete Welle der Hilfsbereitschaft rollt durch die Stadt. Sie bedenkt nicht nur die Flüchtlinge, die nach Broich ziehen werden, sondern etliche andere auch. Die Hilfe komme querbeet aus der Gesellschaft, berichtet Anneliese Rakowski, Verwaltungsleiterin der Pfarrei St. Mariae Himmelfahrt, zu der das Hildegardishaus gehört. „Nicht nur ältere Menschen, die selbst schon manch Schlimmes erlebt haben, sondern auch jüngere fragen nach und engagieren sich. Es sind Frauen und Männer gleichermaßen.“

Am kommenden Montag ziehen laut Rakowski die ersten 22 Personen in das ehemalige Seniorenstift ein. Dann stehen ihnen rund 20 motivierte Ehrenamtler der Gemeinde zur Seite: für Behördengänge zum Beispiel oder für die Kinderbeschäftigung. Dass sich die Stimmung gewandelt hat, habe man deutlich bei den mittlerweile vier Infoabenden in der Gemeinde gemerkt. Hätten sich die Nachbarn anfangs zum Teil noch sehr echauffiert angesichts der Pläne, gelte nun bei vielen die Devise: Wir packen es an und helfen! Die Zusammenarbeit mit der Stadt klappe „wunderbar“, lobt Rakowski; so gebe es für die Helfer mittlerweile donnerstags eine Sprechstunde bei einer Vertreterin der Kommune. „Jetzt werden wir sehen, wie sich all das in der Praxis bewährt.“

Privatleute bieten Wohnraum an

Auch der Sprecher der Stadt, Volker Wiebels, begrüßt die Entwicklung. Auch bei der Stadt gebe es etliche Anzeichen für ein gutes Miteinander. Noch Mitte Juni hatte man händeringend Wohnraum für Asylbewerber und Flüchtlinge gesucht und einen drastischen Anstieg der Zahlen vermeldet (die WAZ berichtete). Sozialdezernent Ulrich Ernst war damals froh, als das Angebot aus St. Mariae Himmelfahrt kam – dennoch sei man weiterhin auf der Suche nach Wohnungen. Laut Wiebels ist die Stadt in diesem Punkt einen (kleinen) Schritt weitergekommen: Nun gehen sogar Wohnungsangebote von Privatleuten ein, berichtet er. Es sei auffällig, dass die anfänglichen Berührungsängste in der Bevölkerung nach und nach gewichen seien – „die Menschen haben sich offenbar einmal intensiv mit dem Thema und den Schicksalen der Flüchtlinge beschäftigt“. Dass so viele Mülheimer helfen wollen, ist für ihn „ein Ausdruck von echter Mitmenschlichkeit“.

Via Facebook Unterstützer gesucht

Überrascht und überwältigt von der großen Resonanz in Sachen Flüchtlingshilfe ist auch Reinhard Jehles, der bei Facebook nach Unterstützern gesucht hatte und kurz darauf die Initiative „Willkommen in Mülheim (WIM)“ gründete.

Wie ein Saarner zum Flüchtlingshelfer durch Fügung wurde 

Keine drei Wochen ist es her, dass Frau und Tochter von Reinhard Jehles frustriert nach Hause kamen und ihm von einer syrischen Flüchtlingsfamilie erzählten, der es an allen Ecken und Enden an etwas fehle. Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelferinnen trafen bei ihrer Schilderung offenbar den richtigen Ton – Reinhard Jehles jedenfalls setzte sich direkt nach dem Gespräch an den PC und rief via Facebook zu Sachspenden für die kinderreiche syrische Familie auf. Der Erfolg war riesig: „Bis Mitternacht gingen 180 Kommentare ein und zwei Drittel davon waren konkrete Hilfsangebote.“ Ähnlich rasant ging es weiter: Die Facebook-Aktion entfaltete „eine unglaubliche Eigendynamik“; von überall kam plötzlich Hilfe her.

In seinem eigentlichen Leben ist Jehles Inhaber einer Saarner Firma, die spezialisiert ist auf das Bedrucken von Tassen. Aktuell aber geht ein Großteil seiner Zeit für das drauf, was sich nach dem Aufruf entwickelt hat: Der 61-Jährige hat Kontakt aufgenommen mit den hilfsbereiten Bürgern, die Kinderwagen, Kühlschränke, Kleidung. . . am liebsten direkt bei ihm vorbeigebracht hätten und für deren Gaben er erstmal einen Raum finden musste. Er hat eine extra Facebook-Gruppe namens „Willkommen in Mülheim“ gegründet, um die Hilfe besser koordinieren zu können. Mehr als 160 Mitglieder zählt diese Gruppe bereits. Und er hat von einem Bekannten eine Homepage gleichen Namens erstellen lassen (www.wim.ruhr), auf der es auch Informationen über andere Organisationen gibt; „wir sind schließlich nur ein Rädchen im Getriebe der Flüchtlingshilfe“.

Die Ideen von Jehles und seinen Mitstreitern sprudeln immer weiter

Die Ideen von Jehles und seinen Mitstreitern sprudeln immer weiter; längst soll nicht mehr nur die eine syrische Familie von den Entwicklungen profitieren, sondern auch möglichst alle andere Flüchtlinge vor Ort. Für sie werden die begeisterungsfähigen Helfer eine Art Warenhaus einrichten, in dem es etwa Hygieneartikel, Babysachen, Kleidung und Hausrat gibt – kostenfrei natürlich. „Damit es gerecht zugeht und jede Familie – abhängig von ihrer Größe – gleichmäßig unterstützt wird, erwägen wir die Einführung eines Begrüßungsgeldes in Form von Wertmarken“, berichtet Jehles. An der Personalplanung fürs Warenhaus werde bereits gefeilt, ebenso an der Beschilderung der Waren in verschiedenen Sprachen. Es gebe auch bereits eine Räumlichkeit; eine Frau aus Winkhausen habe ihre leerstehende Gaststätte an der Boverstraße angeboten. Außerdem wollen die Helfer Willkommenspakete mit allerlei Sinnvollem packen.

Mülheimer Bürger und Unternehmer unterstützen Jehles; Geld möchte dafür niemand haben. „Und so nimmt die Geschichte immer mehr Fahrt auf“, freut sich Jehles. Er spricht mehrfach von glücklicher Fügung und nennt das ganze eine „schöne, wuselige Geschichte, die wir jetzt nur noch gut zusammenbringen müssen“.