Mülheim. . Auf dem Schlachtfeld in Frankreich war Otto Keßler gefallen und dort war er auch beerdigt worden. Das konnte die Mutter im heimischen Mülheim nicht ertragen – sie schickte ihren Mann gemeinsam mit dem Schwiegersohn auf eine beschwerliche Reise. Sie sollten den Leichnam heimbringen.

Ein außergewöhnlich humorvoller Zeitgenosse muss dieser Otto Keßler gewesen sein. Jeder in der Familie kannte Anekdoten, die auf seine Kappe gingen. So wie das Histörchen von der Weihnachtsfeier: Emmi Wolsbeck, seine Nichte, fand anno dazumal einen Regenschirm unterm Christbaum. Und Otto testete sogleich dessen Qualitäten – „mitten in der guten Stube goss er ihr Wasser aus der Gießkanne darüber“. Nortrud Schimmelpfeng amüsiert sich noch heute über die Geschichte. Sie wäre Ottos Großnichte geworden – wenn, ja, wenn, der Mülheimer nicht am 2. Mai 1917 – im Alter von 22 Jahren – vor Verdun gefallen wäre.

„Das war eine Riesenkatastrophe für die Familie“, sagt die 75-jährige Heißenerin. „Meine Urgroßmutter Emma Keßler war untröstlich.“ Und sie habe ihren ältesten Sohn unbedingt „in heimischer Erde“ begraben wollen. „Sie ließ so lange nicht locker, bis mein Urgroßvater zusammen mit seinem Schwiegersohn – meinem Großvater Fritz Wolsbeck – nach Verdun fuhr und die Leiche heimholte.“

Die genauen Umstände der komplizierten Überführung kennt Nortrud Schimmelpfeng nicht – nur so viel: „Otto war Offizier, lag deshalb in einem Einzelgrab und konnte in einen Zinksarg umgebettet werden und so nach Mülheim transportiert werden.“

Grabstätte auf dem Ehrenfriedhof

Seine letzte Ruhestätte fand Otto schließlich auf dem Ehrenfriedhof im Uhlenhorst; „seine Mutter besuchte ihn dort in der ersten Zeit jeden einzelnen Tag“. Und auch (die verhinderte) Großnichte Nortrud erinnert sich noch gut an die vielen Besuche am Grab: „Meine Mutter und ich sind dort Jahr für Jahr an einem speziellen Gedenktag hingefahren.“ Ergreifend sei das gewesen. Mittlerweile aber sei das Grab des Leutnants der Reserve, der gedient hatte im Infanterie-Regiment Nr. 159 und Inhaber war des Eisernen Kreuzes 2. Klasse, aber eingeebnet, sagt Schimmelpfeng.

Das Grauen schlechthin

Der Ort Verdun steht für eines der blutigsten Kapitel des Ersten Weltkrieges. Für Generationen von Deutschen und Franzosen war der Begriff ein Synonym für das Grauen schlechthin.

Ein einst blühender Landstrich war dem Erdboden gleichgemacht worden. Die „Knochenmühle von Verdun“ forderte rund 700.000 Menschenleben. Gesicherte Zahlen konnten nie ermittelt werden, Schätzungen bemessen die deutschen Verluste auf 338.000 Tote, die der Franzosen auf 364.000.

Otto Keßler entstammte der bekannten Saarner Familie Keßler. Er hatte vier Geschwister und der Vater war der Schuhmachermeister Wilhelm Keßler, der laut Nortrud Schimmelpfeng 1902 an der Düsseldorfer Straße „das erste Schuhgeschäft am Platze“ eröffnet hatte. Otto selbst hatte offenbar etwas anderes vor: Kurz bevor er eingezogen worden war, hatte er noch das Lehrerexamen abgelegt. Seine Schwester Hedwig benannte übrigens einen Sohn nach dem gefallenen Liebling der Familie: Auch dieser Otto musste zur Waffe greifen. Er starb im Zweiten Weltkrieg.