Mitarbeiter in Kleinunternehmen haben keinen Kündigungsschutz. Das wird auch dem Ratsherrn Norbert Striemann zum Verhängnis, dem nach 15 Jahren von der MBI gekündigt wurde und jetzt entlassen wurde. „Ich wünschte, die Regelung wäre anders“, sagt Verdi-Frau Henrike Greven.
In einem sozialen Rechtsstaat sind Arbeitnehmer vor der Willkür von Arbeitgebern geschützt. Wem grundlos gekündigt wird, der kann dagegen beim Arbeitsgericht klagen und dort eine Wiedereinstellung oder eine Abfindung erstreiten. Bei betriebsbedingten Kündigungen muss eine Sozialauswahl getroffen werden, die etwa Eltern schützt. Die Gewerkschaften bieten ihren Mitgliedern Beratung und Rechtsbeistand.
Soweit die Theorie.
Das Beispiel Norbert Striemann zeigt, dass der Kündigungsschutz nicht für alle Bereiche gilt. 15 Jahre hat er für die Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) als Fraktionsgeschäftsführer gearbeitet. Kurz bevor und dann noch mal, nachdem er für den Stadtrat kandidiert hatte, wurde ihm vom Fraktionsvorsitzenden der MBI, Lothar Reinhard, gekündigt. Begründung: Der Wiedereinzug ins Stadtparlament in Fraktionsstärke sei nicht gesichert. Der Bitte, in die Kündigung den Passus aufzunehmen, dass sie bei einem erfolgreichen Wahlausgang hinfällig sei, hat Reinhard auch dann noch ignoriert, als er von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi dazu zwei Mal aufgefordert worden war.
Kleinbetriebsklausel im Kündigungsschutzgesetz
Die Hoffnung, dass das Arbeitsgericht diese Kündigung kassiert, hat sich für den 59-Jährigen inzwischen zerschlagen. Es gibt im Kündigungsschutzgesetz eine Kleinbetriebsklausel. Demnach gilt der Kündigungsschutz erst, wenn der Betrieb mindestens 10,25 Mitarbeiter hat. In seinem Fall reichten sogar 5,25 Mitarbeiter, weil bei Striemann noch die alte Regel von 2003 gilt. Sein „Betrieb“ aber ist noch kleiner. In Paragraph 23 des Kündigungsschutzgesetzes ist minutiös geregelt, mit welchem Faktor Teilzeitbeschäftigte gewichtet werden müssen und dass Auszubildende dabei keine Rolle spielen. Im Klartext heißt das: Striemann geht völlig leer aus, ohne auch nur einen einzigen Cent Abfindung zu erhalten.
„Wo“, fragt sich Striemann, „soll das Geld auch herkommen?“ Aus der Fraktionskasse sicher nicht. Illusionen eine Stelle zu finden, macht sich der Sozialwissenschaftler, der eine Lehre als Speditionskaufmann absolviert hat, aber auch nicht. Er rechnet mit Hartz IV. Das bittere Resümee: „Die MBI hat mir meine Existenz zerstört.“
Verdi-Geschäftsführerin Henrike Greven kann die Regelung nicht nachvollziehen. „Ich wünschte mir, es wäre anderes.“ Striemann ist auch kein Einzelfall, sondern ein Beispiel, an dem eine arbeitsrechtliche Fehlentwicklung deutlich wird. „Er könnte zehn Kinder haben. Es wäre völlig egal, das Arbeitsgericht würde eine Kündigungsschutzklage schon aus formalen Gründen verweigern.“ Geschützt sind lediglich Behinderte und Schwangere über ein Sonderkündigungsrecht, wie Arbeitsrechtler Marc Hessling ergänzt. „Hier gilt die Kündigungsfreiheit. Lediglich die Kündigungsfrist ist zu wahren.“
Beschäftigungszuwachs blieb aus
Allerdings hätten die Verfassungsrichter vor einigen Jahren eine Hürde eingezogen: Bei langfristigen Beschäftigungsverhältnissen, ab 15 Jahren, müssten zumindest nachvollziehbare Gründe genannt werden. Die seien für ihn im Fall Striemann nicht erkennbar, zumindest sei bislang öffentlich noch keiner genannt worden. Aber in diesem Fall seien wohl ohnehin die Fristen verstrichen, so Hessling.
Greven ist als Sozialdemokratin besonders unangenehm, dass es die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder war, die diese Kleinbetriebsklausel deutlich verschärft hat, indem die Schwelle von fünf auf zehn Beschäftigte heraufgesetzt wurde. „Die rot-grüne Ideologie bestand damals darin, dass man glaubte, die Beschäftigung zu fördern, wenn man die Hemmschwellen für Kündigungen reduziert“, sagt Greven. Zu einem Beschäftigungszuwachs habe das aber keineswegs geführt. Aber wenn Beschäftigte quasi vogelfrei sind, warum sollen sie dann in die Gewerkschaft? Greven reagiert auf die Zuspitzung etwas konsterniert, verweist aber auf andere Dinge, die Gewerkschaften für diese Mitarbeiter erstreiten. Aber kann man es bei einer so schlechten Absicherung überhaupt wagen, den Arbeitgeber zur Einhaltung von Ansprüchen aufzufordern, ohne dadurch eine Entlassung zu riskieren?
Einen weiteren Skandal sieht Greven aber darin, dass Regelungen für Politiker auf Landes- und Bundesebene anders sind als in der Kommune. Für die Kandidaten auf höherer Ebene gebe es einen Sonderkündigungsschutz. Dabei seien es gerade die ehrenamtlichen Politiker, die eines besonderen Schutzes bedürfen. Theoretisch könnte jeder Kleinbetrieb einen Angestellten rauswerfen, der sich politisch im Rat engagieren will. Man kennt ja die Klagen, dass in den Räten nur Rentner, Lehrer und Selbstständige sitzen; normale Arbeitnehmer sind rar. Stadträte sind längst kein Abbild der Gesellschaft mehr. Bald wird mit Norbert Striemann dann eine weitere Facette der Gesellschaft widergespiegelt. Bleibt die Frage, ob die Aufwandsentschädigungen für Ratsmitglieder mit dem Hartz IV-Satz verrechnet werden.
Erfahrungen damit liegen in der Stadtverwaltung noch nicht vor.