Mülheim. Sticker, Strick oder Besprühtes: Streetart ist nicht nur ein Metropolen-Phänomen. Auch in Mülheim entdeckt man an vielen Straßenecken und öffentlichen Flächen Kunst und Kreatives. Die „Künstler“ aber bleiben meist anonym. Doch: Was ist eigentlich Schmiererei und was Kunst?
Sprüche auf Stromkästen, bestrickte Poller oder Graffiti an Fassaden – Streetart, zu deutsch Straßenkunst, sind bunte Kunststückchen im grauen Stadtalltag. Und prägen das Stadtbild: So wie der Typ im Kapuzenpulli, der täglich von einer Hauswand an der Kreuzung Friedrich-Ebert-Straße/Tourainer Ring die Autofahrer angrinst. Oder ein eingehäkelter Mast, der Besucher am Finanzamt zum Schmunzeln bringt. Auch das Jugendheim in Styrum ist mit seinen großflächigen Graffiti ein Hingucker. Doch wo hört Vandalismus auf und wo fängt Kunst an?
„Die Grenzen sind fließend“, weiß Beate Reese, Kunsthistorikerin und Leiterin des Mülheimer Kunstmuseums. Kriterien zu finden, was Kunst ist und was Schmiererei, sei daher schwierig. Vielleicht geht es um die Intention, die hinter einem bemalten Stromkasten oder einem besprühten Brückenpfeiler steckt. „Steht ein Gestaltungswille dahinter? Wie ist das Bild aufgebaut? Und wo steht es?“, zählt Reese auf. Bei einem schnell gesprühten Tag (so bezeichnen Sprayer ihre Kürzel) kann wohl kaum von Streetart, also von Kunst, gesprochen werden. Ebenso wenig zählen Schmierereien wie die an der U-Bahn-Haltestelle Rosendellerstraße dazu.
Streetart spiegelt Zeitgeist wider
Die Graffiti an der Friedrich-Ebert-Straße/Tourainer Ring jedoch, lassen Gestaltungswillen vermuten. Ebenso die Fassade am Marienplatz in Styrum. Dort gab die katholische Gemeinde St. Mariae Rosenkranz bereits vor über zehn Jahren Flächen dauerhaft fürs Sprayen frei. Der Mülheimer Dennis Broszat hat dort mit Jugendlichen die Hauswand des Jugendheims in der Nähe der Bahnlinie gestaltet. Nun blicken viele Menschen im Vorbeifahren auf die bunte Hausfassade – das Feedback darauf sei positiv, sagte jüngst der frühere Pastor der Gemeinde.
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Von Kunst im öffentlichen Raum würde Beate Reese bei Streetart übrigens nicht sprechen. „Kunst im öffentlichen Raum hat den Aspekt des Dauerhaften.“ Beim Bogenschützen etwa entwickelte der Künstler Hermann Lickfeld ein Konzept: Welches Motiv kommt für welchen Raum in Frage? „Zudem ist es auf lange Zeit angelegt und demokratisch abgesegnet.“ Schließlich findet Streetart häufig im Illegalen statt. „Da wird durch Sprühen öffentliches Eigentum beschädigt.“ Vielleicht macht gerade das den Reiz für viele aus. Und sich Flächen zurückzuerobern, die eigentlich der Funktionalität dienen. „Wie Brückenpfeiler oder Unterführungen, also Unorte der Stadt zu besetzen“, erklärt Reese. Ein bisschen sei Straßenkunst aber auch der Versuch, den Alltag bunter zu gestalten, als Statement gegen das Grau der Umgebung, „über das auch immer der Zeitgeist artikuliert wird“. Die besprühte Berliner Mauer sei ein Beispiel für Straßenkunst, in der sich Zeitgeist widerspiegelt.
Wenn öffentliche Flächen oder Stadtmöbel wie Laternen und Bänke eingenommen werden, hat das auch die Verwaltung im Blick: Auch wenn das Besprühen, Bekleben oder Einstricken nicht legal ist, „dulden wir es, solange es nicht die Verkehrssicherheit gefährdet“, sagt Stadtsprecher Volker Wiebels. Wenn etwa ein Stoppschild so wild beklebt wird, dass es nicht mehr lesbar ist, muss es ausgetauscht werden. „Dann ermitteln wir auch die Verursacher.“ Für das Schild an der Bleichstraße/Grüneck gilt aber weiterhin: Schick in Strick – schließlich ist es auch angezogen noch gut lesbar.
Streetart in Mülheim