Mülheim. Unions-Politiker Wolfgang Bosbach war zu Gast bei der CDU-Mittelstandsvereinigung. Er kritisierte die „enorme Leistungsausweitung bei Renten“ und stellte den Mindestlohn in Frage.

Wolfgang Bosbach, prominentes Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion, ist in Mülheim deutlich auf Distanz zum schwarz-roten Koalitionsvertrag gegangen.

„Ich habe die große Sorge, dass wir in Deutschland den Zusammenhang zwischen unserer wirtschaftlichen und sozialen Leistungsfähigkeit verlieren“, rief der Unionspolitiker unter dem Beifall der CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) im Selbecker Golfclub aus. „Nur wenn wir weiter wirtschaftlich stark und international wettbewerbsfähig sind, werden wir auf Dauer die wirtschaftliche Kraft haben, um das alles zu finanzieren, was den Menschen an neuen oder höheren Leistungen im Koalitionsvertrag versprochen wird.“

Martinsgansessen im Selbecker Clubhaus

Klartext auch in Richtung SPD: „Ich kann nur umverteilen, was vorher erarbeitet und erwirtschaftet wurde – in dieser Reihenfolge.“ Damit traf Bosbach den Nerv der Mülheimer CDU-Mittelständler, die sich zum traditionellen Martinsgans­essen im Selbecker Clubhaus versammelt hatten. Besonders vermisst der Vorsitzende des Innenausschusses im Koalitionsvertrag ein Kapitel „So stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland“. Heute zahle man schon den Spitzensteuersatz, wenn man das 1,8-fache des Durchschnitts verdiene. „Für jede Lohnerhöhung, jede Überstunde, jeden Sonn-, Feier- und Nachtzuschlag wird sofort der Spitzensteuersatz fällig.“ Das Thema sei aktuell, komme aber im Koalitionsvertrag gar nicht vor: „Das ist für mich eine Enttäuschung.“ Der Vertrag greife auch die notwendige Steuerreform nicht auf, ein einfacheres, transparenteres, gerechteres Steuersystem.

Bosbach (61) kritisierte - „bei allen guten Begründungen“ - auch die „enorme Leistungsausweitung in der Rentenversicherung“: Mütterrente, Lebensleistungsrente, vor allem aber die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren: Das ginge „zu Lasten der jüngeren Generationen, die das alles bezahlen werden müssen.“ Er bezweifelte auch, ob die Mietpreisbremse mehr günstigen Wohnraum schaffe. Fragezeichen setzte Bosbach hinter den einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Der müsse dann für alle Auszubildenden in den Betrieben gelten. Für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte, die bundesweit 1,3 Millionen Aufstocker, auch für das Handwerk, sei der Mindestlohn kontraproduktiv. Eindeutig positiv fiel sein Urteil über geplante Mehrinvestitionen in Bildung, Forschung, Verkehr, Infrastruktur aus.

Vor seiner Rede begrüßte Hans-Joseph Krupp, Kreisvorstand der MIT, die rund 150 Gäste: „Die CDU/CSU hat die Wahl deutlich gewonnen.“ Der Koalitionsvertrag trage nach Meinung vieler die Handschrift der SPD, und vor allem der Mittelstand sei unzufrieden damit: An erster Stelle mit dem Mindestlohn, danach mit der Rente mit 63, „die teils ein Rückschritt ist“.