Berlin. Eine relative Mehrheit der Deutschen betrachtet die CDU einer Umfrage zufolge als Siegerin der Koalitionsverhandlungen. In einer am Samstag veröffentlichten Emnid-Erhebung sagten 44 Prozent aller Befragten und 45 Prozent der Unions-Anhänger, die CDU habe dem Koalitionsvertrag ihren Stempel aufgedrückt. Unter den SPD-Anhängern waren sogar 51 Prozent dieser Ansicht.

In den Verhandlungen von Union und SPD zur großen Koalition hat sich nach Ansicht einer Mehrheit der Deutschen die CDU durchgesetzt. In einer Emnid-Umfrage für das Nachrichtenmagazin "Focus" sagten 44 aller Befragten, die CDU habe dem Koalitionsvertrag ihren Stempel aufgedrückt. Unter Unions-Anhängern waren 45 und unter SPD-Anhängern sogar 51 Prozent dieser Ansicht. 24 Prozent aller Befragten glaubten, dass die SPD bestimmend war. Bei den SPD-Anhängern waren 22 Prozent dieser Meinung, im Unionslager 25 Prozent. Dass sich die CSU durchgesetzt hat, meinten nur 13 Prozent aller Befragten.

Die Bundesbürger stehen nach Einschätzung der Chefin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher, vielen Plänen der großen Koalition positiv gegenüber. "So viel Bescherung hatten sie nicht erwartet", schrieb Köcher in einem Beitrag für die "Wirtschaftwoche". 91 Prozent der Bürger machten soziale Gerechtigkeit daran fest, dass eine Vollzeittätigkeit den Lebensunterhalt sichert. Dass der von der Koalition beschlossene Mindestlohn Arbeitsplätze kosten könnte, wie viele Ökonomen warnen, glaubt die Mehrheit demnach nicht.

Steinbrück spricht sich für Gabriel als Finanzminister aus  

Der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat sich dafür ausgesprochen, dass der SPD-Parteichef Sigmar Gabriel das Bundesfinanzministerium übernimmt. "Sigmar Gabriel hat in den vergangenen Wochen perfekt agiert und ausgezeichnet verhandelt. Meiner Meinung nach sollte ein Parteichef in einem Kabinett spürbar Einfluss nehmen und deshalb ein wichtiges Ministerium als Vizekanzler übernehmen", sagte Steinbrück der "Bild"-Zeitung (Samstagsausgabe). Das Finanzministerium sei "von zentraler strategischer Bedeutung", da alles, was "relevant für den Haushalt ist", über den Tisch des Finanzministers gehe.

Nach eigenen Angaben wurde Steinbrück sowohl aus der SPD als auch von der CDU gefragt, ob er den Posten übernehmen wolle. Dies habe er jedoch vor der Wahl ausgeschlossen und dazu stehe er nun. Er ließ in dem Interview offen, ob er aus dem Bundestag ausscheiden wird, wenn die SPD-Mitgliederbefragung abgeschlossen ist. "Das werde ich zu gegebener Zeit entscheiden. Ein Abgeordneter trägt schließlich auch eine Verantwortung für seinen Wahlkreis und seine Mitarbeiter", sagte Steinbrück.

Er gab zu, dass ihn die Wahlschlappe weiter beschäftigt. "Es wäre Selbstbetrug zu sagen, dass ich schon alles aufgearbeitet habe", sagte Steinbrück. Zugleich lobte er aber das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. "Wir haben mehr sozialdemokratische Politik durchgesetzt als ich es vor Beginn der Verhandlungen für möglich gehalten hätte. Ein solches Ergebnis wäre sogar mit den Grünen schwer erreichbar gewesen - und genau diesen Erfolg wollen und werden wir auch den Mitgliedern der SPD vermitteln."

Kraft und Schulz werben bei NRW-SPD für Koalitionsvertrag 

SPD-Spitzenpolitiker haben beim Kommunal- und Europakonvent der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten für den Koalitionsvertrag mit der Union geworben. Zwar handele es sich um "ein Zweckbündnis auf Zeit", es könne aber "für viele Menschen viel bedeuten", sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft am Samstag in Oberhausen. "Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit diesem Koalitionsvertrag das Land ein Stück besser machen können." Als Beispiele nannte sie den Mindestlohn sowie die Regulierung von Werkverträgen und Zeitarbeit. Auch die Mietpreisbremse sei "ein Erfolg der Sozialdemokratie".

Auch der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, lobte den Koalitionsvertrag. Kraft habe zu einem Zeitpunkt, an dem die Weltklimakonferenz in Warschau gescheitert sei, für die SPD eine Energiepolitik ausgehandelt, "die weltweit Pilotfunktion haben wird". Der Beschluss sei ein Musterbeispiel, wie ein Industriestaat ökologisch verantwortlich seine Industrie entwickeln könne.

Kraft rief dazu auf, in Europa nicht den Nationalisten das Feld zu überlassen. Schulz sagte, die EU müsse sozialdemokratisch reformiert werden. Der Parlamentspräsident ist Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Parteien Europas (SPE) bei der Europawahl am 25. Mai 2014. Damit ist er auch Kandidat der Sozialdemokraten für den ebenfalls im kommenden Jahr neu zu besetzenden Posten des EU-Kommissionspräsidenten.

Oppermann verteidigt SPD-Mitgliedervotum  

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, hat den Mitgliederentscheid seiner Partei zum Koalitionsvertrag mit der Union verteidigt. "Das Grundgesetz verlangt von den Parteien innerparteiliche Demokratie", teilte er am Samstag in Berlin mit. "Ein Mitgliedervotum ist nicht verfassungswidrig, sondern wird den Anforderungen des Grundgesetzes an die innerparteiliche Willensbildung in besonderer Weise gerecht." Oppermann ging davon aus, dass auch andere Parteien künftig ihre Mitglieder zu wichtigen Themen befragen werden. "Die direkte Beteiligung aller Mitglieder führt zu einer Aktivierung und Belebung unserer Demokratie insgesamt."

Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter hat der großen Koalition im Bund schon vor dem Start fehlendes Engagement vorgeworfen. "Ich meine, die große Koalition fängt mit sehr viel Müdigkeit an und kann in einigen Bereichen großen Schaden anrichten", sagte sie beim Landesparteitag der Berliner Grünen am Samstag. Der Koalitionsvertrag sei "dünnes Eis für eine Tragfähigkeit von vier Jahren". Den Titel "Zukunft gestalten" meinten Union und SPD offensichtlich nicht ernst. Sie sehe stattdessen ein "visionsloses Zukunft-Verwalten", sagte Peter. "Die Politik sichert eher den Wohlstand der heutigen Generationen, der Wohlhabenden."

SPD-Generalsekretärin Nahles schließt Steuererhöhungen nicht aus 

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat Steuererhöhungen während der schwarz-roten Regierungszeit nicht ausgeschlossen. "Wenn die Steuereinnahmen zurückgehen, müssen wir natürlich neu über die Finanzierung unserer Vorhaben reden", sagte sie der "Welt am Sonntag" laut Vorabbericht vom Samstag. Auch Kanzlerin Angela Merkel habe Erhöhungen keineswegs ausgeschlossen. "Uns ist vor allem wichtig, keine neue Schulden zu machen." Höhere Steuern seien aber nicht geplant.

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Die neue Grünen-Vorsitzende Simone Peter kritisierte in der Zeitung "Die Welt", die große Koalition wolle Finanzpolitik nach dem Prinzip Hoffnung betreiben. Wenn die Konjunktur nicht ganz so gut laufe, sei unklar, wie die Ausgaben für Bildung, Verkehr oder Sozialversicherungen bezahlt werden sollten. "Dann muss die Koalition entweder ihre Investitionszusagen einkassieren oder doch die Steuern erhöhen." Steuererhöhungen habe es auch in der Vergangenheit mehrfach "durch die Hintertür ohne Vorankündigung" gegeben.

De Maizière weist Kritik der Wirtschaft an Koalitionsvertrag zurück 

Der amtierende Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat Kritik der Wirtschaft am Koalitionsvertrag von Union und SPD zurückgewiesen. "Vieles, was ich an Kritik aus der Wirtschaft höre, entspringt der Enttäuschung, dass wir nicht mehr Subventionen verteilen", sagte der CDU-Politiker dem "Tagesspiegel am Sonntag". "Aber marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik ist keine Subventionsmaschine."

Der Minister hält auch die Kritik an den Plänen zum Mindestlohn für unberechtigt. Die Warnungen vor einem Verlust von Arbeitsplätzen wären berechtigt gewesen, wenn die Koalition die 8,50 Euro wie von der SPD gefordert schon 2014 flächendeckend einführen würde. "Die nun vereinbarten Ausnahmen und Übergangsfristen machen ihn gut vertretbar." De Maizière fügte hinzu: "Im Wahlkampf, wo das ein großes Thema war, war von der Wirtschaft wenig Widerspruch zu hören. Hinterher kommen sie mit Kritik."

Länder schneiden laut Tillich im Koalitionsvertrag schlecht ab 

Bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD haben Länder und Kommunen nach Ansicht von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich schlecht abgeschnitten. In der "Wirtschaftswoche" kritisierte der CDU-Politiker, dass der Bund im Koalitionsvertrag einen Rückzieher bei der Eingliederungshilfe für Behinderte mache. Er habe bereits zugesagt gehabt, dass er diese mit zunächst vier Milliarden Euro übernehmen werde. "Jetzt steht da eine Milliarde drin", monierte Tillich. "Das ist ein kleines Pflästerchen, das nicht die Probleme der Kommunen löst." Tillich kritisierte: "Es kann nicht sein, dass der Bund Gesetze erlässt - wie damals die Hartz-Gesetze - und die Kommunen haben die Lasten zu tragen."

Hier sei das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. "Das wird die Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen bestimmen", kündigte Tillich an, der harte Auseinandersetzungen erwartet. "Die Koalitionsverhandlungen waren eher Spaß im Vergleich zu dem, was uns bei den Bund-Länder-Gesprächen zur Finanzausstattung bevorsteht." Sachsen verliere bis 2020 die Solidarpaktmittel in Höhe von 3,6 Milliarden Euro. "Gerade deshalb können wir auf die Übernahme der Eingliederungshilfe nicht verzichten. Der Bund muss seine Zusage einhalten."

Kritisch sieht Tillich auch die im Koalitionsvertrag vereinbarten Mehrausgaben von 23 Milliarden Euro. "Alle Reserven im Bundeshaushalt dürften nun verplant sein", sagte der sächsische Regierungschef. Nun regiere das Prinzip Hoffnung mit. "Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass am Arbeitsmarkt der Schwung anhält und das Wachstum intakt bleibt." Zwar sei dies auch das Ziel der Regierung. "Trotzdem bleibt ein Risiko." Auch international dürfe es keine neue Krise geben. "Das ist die Voraussetzung, damit die Finanzplanung der Regierung aufgeht." Andernfalls dürften keine neue Schulden gemacht werden.

Tillich monierte auch den vereinbarten Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. "Niemand schließt aus, dass dieser Mindestlohn Arbeitsplätze gefährdet, nicht einmal die SPD. Das trifft insbesondere den Osten." Wer den Mindestlohn als Katastrophe für Ostdeutschland bezeichne, "liegt nicht ganz falsch". (dpa/rtr/afp)