Mülheim.
Was geschieht mit behüteten, in Wohlstand lebenden Jugendlichen, die Menschen gegenüber sitzen, die vor 60, 50 oder 40 Jahren nach Deutschland reisten, weil sie aus armen Verhältnissen kamen, neugierig auf die große Welt waren oder auf persönliche Freiheit hofften?
Damit diese Zeit nicht vergessen wird, haben neun „Gastarbeiter“ ihre Geschichten erzählt, sind im Rahmen des Projektes „Der Traum vom Paradies: Deutschland?!“ in den Unterricht der damals 9. und 10. Klassen der Karl-Ziegler- und Willy-Brandt-Schule gegangen und haben dort viele Schüler-Fragen beantwortet.
Wichtig war allen die Bildung
Diese haben sich im Anschluss künstlerisch mit den bewegten Lebensgeschichten auseinandergesetzt, haben Bilder gemalt und 15 Roll-up’s erstellt, aus denen eine Ausstellung gestaltet wurde. Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld und Prof. Heiner Schmitz, der das Projekt betreut hat, bedankten sich am Freitag in der Volkshochschule, wo die Ausstellung noch bis zum 23. Dezember zu sehen ist, bei allen Beteiligten – vor allem auch bei den Menschen, die ehemals aus Ägypten, der Türkei, Korea, Japan, Chile, Spanien und Griechenland nach Mülheim gekommen sind.
„Es war allen Zeitzeugen extrem wichtig, ihren Kindern einen gute Ausbildung zu ermöglichen und die deutsche Sprache zu lernen“, fasst Heiner Schmitz zusammen. Das ging so weit, dass sich Miguel Estevez Prado sogar intensiv mit deutschen Sprichwörtern beschäftigt habe, so Schmitz. Viele brächten sich bis heute intensiv in die Mülheimer Gesellschaft und Politik ein. „An diesen Menschen kann man sehen, was an Reichtum in die Stadt gekommen ist“, so Mühlenfeld. Was an gesellschaftlicher Öffnung geschehen sei, sei auch der wachsenden kulturellen Vielfalt geschuldet. Diese Ausstellung erinnere zudem an den vor einem Jahr verstorbenen Klaus Wichmann, der das Projekt angestoßen habe.
Ehemalige Gastarbeiter sind stolz auf ihre Lebenleistung
Die Schülerinnen Johanna Leibecke und Teresa Grunau finden: „Es war für uns ein besonderes Projekt, weil richtige Geschichten dahinter stecken. Wir haben uns vorgestellt wie schwer es wäre, wenn wir von zu Hause weggehen müssten!“ Wenn man die Menschen sähe, würde man zuerst gar nicht vermuten, was sie für krasse Geschichten erlebt hätten, ergänzt Teresa Grunau. Die mit Mitteln des Landschaftsverbandes Rheinland möglich gewordene Ausstellung ist als Einführungsmaterial für eine Projektwoche zum Thema „Gastarbeiter“ geeignet. Die Exponate, 15 Roll-up’s im Format 120 cm x 200 cm, können bei der VHS über Kerstin Dau unter Tel. 455 4314 angefordert werden.
Ismail Alacayir ist stolz auf das, was die Schüler aus ihren Lebensgeschichten geschaffen haben. Aber ist sei auch stolz darauf, dass er mit 15 Jahren gekommen sei, als Bergmann in Walsum gearbeitet habe, dass er seine Eltern finanziell unterstützen konnte. „Seit fast 46 Jahren bin ich viel im sozialen Bereich herumgekommen, war Vorsitzender des türkischen Vereins, war in der Schulpflegschaft und der SPD aktiv und habe gedolmetscht.“ Seine vier Kinder und acht Enkelkinder hätten alle studiert.
Fasziniert von den zahlreichen Möglichkeiten
Auch Suzan Afat, heute Rentnerin, ist in Deutschland heimisch geworden und erzählt von ihrem bewegten Leben, von ihrem großen Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit, den sie letztlich immer durchgesetzt habe. „Meine Eltern wollten mich lange zurückholen, aber ich wollte hier bleiben.“
Fikret Vural wollte als Erwachsener gegen Ende der 1970er Jahre eigentlich seine Eltern in Deutschland nur besuchen, war aber fasziniert von den zahlreichen Möglichkeiten, die sich ihm boten. So ist er geblieben. Als Sozialarbeiter arbeitet er heute bei der Stadt, berät Menschen mit Migrationshintergrund und engagiert sich in vielfältiger Weise.