Mülheim. Besonderes Auswärtsspiel für das Theater an der Ruhr - das Mülheimer Ensemble durfte vor kurzem mit zwei Inszenierungen bei einem Festival in Algerien auftreten. Passend dazu beginnt nun die “Theaterlandschaft Neues Arabien“ am Raffelberg. Rolf C. Hemke berichtet von den Erlebnissen in Nordafrika.
Ein gelebter „Dialog der Kulturen“, der keine Einbahnstraße ist: Erst kürzlich war das Theater an der Ruhr mit zwei Inszenierungen zu einem Festival nach Algerien eingeladen. Am Freitagabend wird am Raffelberg die „Theaterlandschaft Neues Arabien“ eingeläutet mit zeitgenössischen Stücken aus Algerien, Tunesien und Libanon, die einiges von der Situation in den Ländern nach dem „Arabischen Frühling“ in 2011 erzählen. Ein Gespräch mit Rolf C. Hemke vom Theater.
Sie waren direkt vor Ort in Algerien. Wie ist die Lage?
Rolf C. Hemke: Algerien hat seinen arabischen Frühling schon in den 1990er-Jahren erlebt, als es dort eine politische Bewegung gab, die in erschreckender Weise zu einem blutigen Bürgerkrieg geführt hat, der über Jahre andauerte. Seitdem gibt es dort einen sehr starken Willen zum Aufbau einer Zivilgesellschaft, wo die Kultur wichtiges Element ist.
Wie äußert sich das?
Hemke: Alle 15 Regionaltheater wurden renoviert und sind in einen hervorragenden technischen Zustand, fünf neue werden gebaut. Das ist die positive Seite. Die negative Seite ist, dass man im Alltag mit immensen Sicherheitsmaßnahmen, ja fast schon mit einem Sicherheitswahn, konfrontiert ist.
Ein paar Beispiele?
Hemke: Man hat an jeder Einfallstraße Polizeikontrollen und Polizeipräsenz in den Städten. Wenn wir gereist sind, wurden wir immer von Blaulicht-Konvois begleitet. Für eine Bergstrecke, für die man mit dem Bus drei Stunden rechnet, haben wir über acht Stunden gebraucht, weil wir ständig Umwege fahren mussten und wir nicht wussten, warum. Es wurde hinterher gesagt, es sei aus Sicherheitserwägungen gewesen.
Konnte man denn in der Freizeit einfach in die Städte rausgehen?
Hemke: Als Individual-Tourist hat man keine Probleme. Für Gruppen hängt es ein bisschen davon ab, wo man ist und wie die Arrangements vor Ort getroffen wurden. In Bejaia, wo viele Ausländer des Festivals waren, gab’s Freigang für alle Gruppen. In Tizi Quozou, einer kleinen Stadt mit wenig Fremdenverkehr, durften wir das Hotel abends nicht verlassen. In Algier war das wieder kein Problem.
Algier ist Hauptstadt und Kulturmetropole. Gibt es dort eine Kneipen-Szene?
Hemke: Eine Kneipen-Szene gibt es in Algerien in dem Maße nicht. Algerien ist ein islamisches Land und der Alkohol-Konsum beschränkt sich doch eher auf bessere Hotels.
In „Kaspar“ und „Woyzeck“ gibt es Nacktszenen. Durfte das gezeigt werden?
Hemke: Ja, das haben wir unverändert gezeigt. Das wurde mit dem Festivalleiter abgesprochen und der hat gesagt, wenn das ein künstlerischer Ausdruck ist, dann machen wir das und schauen mal, was passiert. In einem Artikel in der größten algerischen Tageszeitung heißt es, wie mir der Festivalleiter sagte, dass es anscheinend das erste Mal war, dass auf einer algerischen Bühne komplette Nacktheit zu sehen war.
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Wie reagierte das Publikum?
Hemke: Sehr tolerant. In Bejaia und Tizi Ouzou hätte man nach der Szene eine Nadel fallen hören können, aber danach gab’s Applaus. In Algier nicht, da sind drei, vier Leute rausgegangen. Aber in Bejaia, wo das Theater mit 500 Leuten packend voll war, gab es Szenen-Applaus und Zustimmung danach. Das war richtig positiv. Wenn ein Ensemble aus Deutschland kommt, erwarten die Leute natürlich ein anderes Theater, erwarten, etwas Neues zu sehen.