Mülheim. Das Theater an der Ruhr macht eine Tournee durch Algerien. Roberto Ciulli und sein Ensemble zeigen nicht nur ihr Repertoire, sie betreiben auch Kulturdiplomatie
Das Theater an der Ruhr ist auf großer Fahrt. Bis zum 8. November zeigt das Ensemble um Roberto Ciulli in Algerien eine Auswahl aus seinem Repertoire. Wir berichten von den einzelnen Stationen der Reise.
Die Anreise nach Algerien klappte schließlich doch gut, aber für die 40-köpfige Gruppe wurde es doch ein langer Tag. Der Orkan, der am Morgen in Düsseldorf noch den Abflug verhindert hatte, legte sich und gegen Mitternacht traf das Ensemble endlich in einem zwischenzeitlich gebuchten Hotel in Algier ein.
Und auf der Weiterfahrt zum rund 200 Kilometer entfernt gelegenen Festivalort Bejaia erfüllte sich das, was sich jeder einmal scherzhaft so wünscht, wenn er im Stau steht: Eine Polizeieskorte mit Blaulicht und schriller Sirene verhalf dem Bus zu einer freien Fahrt, um pünktlich zur Festivaleröffnung einzutreffen. So etwas hat das vielgereiste Ensemble bislang auch noch nicht erlebt. Sie lachen, machen Fotos. „“, sagt Schauspieler Albert Bork später.
Buntes Treiben herrscht schon am Nachmittag
Denn wie sollen die Autofahrer wissen, dass nach dem Polizeiwagen auch noch der Bus freie Fahrt hat? Und die Polizisten sorgen mit Vehemenz für freie Fahrt. Das zeigt, das Gastspiel aus Mülheim wird ernst und wichtig genommen. Wie schon bei der nächtlichen Einreise, als die Kontrollen weniger penibel ausfielen als sonst. Das zeigt sich auch bei der Festival-Eröffnung, bei der Theaterchef Roberto Ciulli mit einem Preis für seine künstlerische Leistung gewürdigt wird. Filmkameras und Fotoapparate richten sich auf den 79-Jährigen, er wird umringt von Journalisten, von Offiziellen hofiert. Im Programmheft wird diese Ehrung groß angekündigt. Tags drauf möchte auch das Fernsehen einige Bilder von den Proben und Aufbauarbeiten für „Kaspar“ einfangen.
Auf dem Vorplatz einer Mehrzweckhalle, in der das Festival am Abend offiziell eröffnet wird, herrscht schon am Nachmittag ein buntes Treiben: Viele folkloristische Gruppen musizieren hier und führen Schaukämpfe mit Säbeln und Schildern vor. 20 Gruppen von Palästina bis Japan sind hier in den nächsten zehn Tagen zu erleben. Das Ensemble trifft hier alte Bekannte: Halo aus Kurdistan und Bulat Atabajew aus Kasachstan. „Kennen wir jemanden von den Irakern?“, fragt Petra von der Beek.
Auf dem roten Teppich
Am roten Teppich steht plötzlich auch winkend Jörg Fürst, der neue Leiter des Mülheimer Seniorentheaters Spätlese. Viel länger aber ist er schon verantwortlich für das Festival Globalice Cologne. Und dieses Kölner Festival ist der Hauptproduktionspartner des Stücks „Sünde Erfolg“ von Meriam Bouslemi , das das Festival am Abend eröffnete. Fürst ist schon seit ein paar Tagen gemeinsam mit Rolf C. Hemke, der für die Mülheimer die arabischen Kontakte enger knüpft, in der Stadt.
Die 30-jährige Autorin und Regisseurin ist eine der vielversprechenden neuen Stimmen Arabiens, die auch keinen Konflikt mit dem Regime scheut und offen Kritik am Kulturminister ihres Landes übte. Folgenlos blieb das für die Autorin nicht. Schwieriger sei es für sie seitdem in Tunesien geworden, sagt Hemke. Umso wichtiger werde es, sie zu unterstützen. Sprachlich und ästhetisch sind ihre Texte reifer, westlicher geprägt, als vieles, was im arabischen Raum ansonsten geboten wird. Pina Bausch ist für Bouselmi ein wichtiger Bezugspunkt. Das Theater an der Ruhr, das im vergangenen Jahr bereits zwei ihrer Stücke zeigt, unterstützt derzeit drei ihrer Projekte.
Zwei werden im November zu sehen sein: „Sünde Erfolg“ ist nach der Kölner Premiere auch am 23. November am Raffelberg zu sehen. Es ist eine technische Herausforderung, denn schon in der ersten Szene verschwindet eine Frau an einem Seil in der Höhe des Schnürbodens und später werden von dort an die 30 weibliche Torsi, die miteinander verknüpft sind, herabgelassen. Ein starkes Bild, aber wie macht man das, wenn man gar keinen Schnürboden hat? „Da werden sich dieses Mal die Kölner mit der Regisseurin etwas einfallen lassen müssen“, sagt einer der Mülheimer Techniker.
Technisch gut ausgerüstet
Ihr Improvisationstalent haben die Techniker von der Ruhr in Bejaia noch nicht unter Beweis stellen müssen. Das 1936 errichtete Theater ist gut ausgestattet. Allerdings bestand Ciulli darauf, dass sie für Aufbau und die Wiederaufnahmeprobe von „Kaspar“ am Vortag der Aufführung den Hauptsaal nutzen können. Keine leichte Entscheidung , einen ganzen Tag auf die Hauptspielstätte zu verzichten. Aber die Zeit brauchten die Mülheimer auch. Schon allein wegen der Schlepperei, denn was fehlt, ist ein Lastenaufzug. Zehn Kilometer entfernt steht der Lkw mit Kostümen und Bühnenbild, die für die beiden gezeigten Inszenierung (in Algier wird noch „Woyzeck“ zu sehen sein) benötigt werden.
Das sind acht bis zehn Tonnen Material. Eine Spedition hat den Container über Marseille nach Algerien gebracht. Da die Straßen eng sind, muss das Material in kleine Laster umgeladen werden. Die Helfer bekommen einen Schreck, als sie den Lkw öffnen. Da liegt für „Kaspar“ ein kurzer Schienenstrang. Wie soll man den bewegen? Was sie nicht wissen, Gralf Edzard Habben hat die Schienen täuschend echt aus Holz nachbilden lassen und der Schotter ist aus Styropor. Nicht leicht, aber zu tragen. Die Algerier lachen befreit.