Mülheim. Keiner weiß, wie viele homosexuelle Senioren in NRW leben - man schätzt 230.000. Der Seniorenbeirat in Mülheim hat vor einigen Wochen über dieses Thema gesprochen. Die Gesprächsthemen drehten sich beispielsweise um Senioren in Pflegeheimen und das Versteckspiel der älteren Generationen.
Ältere Homosexuelle: Es muss viele von ihnen geben, natürlich, aber im Gespräch sind sie selten. In Mülheim hat sich vor einigen Wochen erstmals der Seniorenbeirat mit diesem Thema beschäftigt.
Als Berichterstatter geladen war Christoph Jansen, Vorstandsmitglied und ehrenamtlicher Berater im Sozialverein für Lesben und Schwule e.V. (SVLS). Wie viele Menschen in der Stadt dazu gehören, kann niemand sicher sagen. In ganz NRW wird die Zahl der Lesben und Schwulen über 65 Jahren auf mindestens 230.000 geschätzt.
"Noch nie über das Thema Gedanken gemacht"
„Bei uns informieren sich viele Leute über Pflegeheime“, sagt Holger Förster von der städtischen Seniorenberatung, „bisher hat sich noch niemand als gleichgeschlechtlich zu erkennen gegeben. Ich habe mir vorher auch nie über das Thema Gedanken gemacht. Aber kürzlich habe ich einen Flyer gesehen und behalte es jetzt im Hinterkopf.“
Besagter Flyer, an dem Christoph Jansen, aber auch junge Lesben und Schwule aus dem Mülheimer Treff „enterpride“ mitwirkten, wirbt für das „Generationencafé“, zu dem Homosexuelle verschiedener Altersgruppen sonntags zusammen kommen. Beim letzten Mal saßen zehn Männer und eine Frau am großen Tisch, Leute zwischen 24 und 73 Jahren.
Gesprächsthemen gibt es genug, Leben im Alter gehört oft dazu. „Im betreuten Wohnen oder in Seniorenheimen würden schwule Paare diskriminiert“, glaubt ein 68-Jähriger. Andere Möglichkeiten bieten homosexuelle Wohngemeinschaften für Senioren oder spezielle Pflegeheime, die es aber noch fast nirgendwo gibt, außer in Berlin oder Köln. „Mein Partner und ich, wir reden öfter darüber“, sagt Christoph Jansen der als 46-Jähriger voll im Berufsleben steht. „Wir könnten uns alternative Wohnmodelle vorstellen, aber nicht erst, wenn wir 80 sind.“ Andere in der Runde nicken.
"Ein richtiges Versteckspiel"
Dieter G. ist mit seinen 73 Jahren der Älteste am Tisch. Er hat etliche Jahre erlebt, in denen homosexuelle Beziehungen sogar zwischen Erwachsenen noch als kriminell galten und strafbar waren (bis 1969). Erst 1994 wurde § 175 StGB ersatzlos gestrichen. „Damals war es ein richtiges Versteckspiel“, sagt er. „In der älteren Generation kenne ich viele Schwule, die geheiratet haben und auch Väter wurden, um den Schein zu wahren. Man hat sich nicht geoutet.“
Dieter G. hat sich nun jedoch für eine Info-Aktion fotografieren lassen: „Gemeinsam mittendrin“ steht auf den Plakaten, die – laut Christoph Jansen – an alle Mülheimer Senioreneinrichtungen verteilt wurden, in der Hoffnung, dass sie auch ausgehängt werden. „8 Prozent der Senioren sind homosexuell“, ist dort zu lesen. Und: „Sie gehören selbstverständlich dazu.“
Demnächst soll es auch erste Workshops für die Mitarbeiter(innen) in Senioreneinrichtungen geben. „Wir möchten sie für das Thema sensibler machen“, so Jansen: „Wie man mit Bewohnerinnen und Bewohnern umgeht, die schwul oder lesbisch sind, und mit Bewohnern, die damit Probleme haben.“
Noch kaum offen behandelt: Homosexualität im Seniorenheim
Offen für die Situation homosexueller älterer Menschen zeigt sich in Mülheim besonders das Seniorenzentrum Bonifatius. Monatlich trifft sich hier auch das oben erwähnte Generationencafé der AG Queer.
"In Zukunft ein wichtiges Thema"
„In unserem Haus wohnen zur Zeit zwei schwule Männer“, berichtet Eveline Moll, Leiterin des Bonifatius-Heimes. „Das ist wohl etwas Besonderes, wird aber in Zukunft ein immer wichtigeres Thema werden.“ Zwar würden auch in anderen Mülheimer Senioreneinrichtungen Homosexuelle leben, „aber gerade in der älteren Generation wird darüber noch nicht so offen geredet“. In ihrem Haus sei es kein Problem, auch weil die erwähnten Männer solo sind. „Aber wenn ein Schwuler sagen würde, mein Partner möchte hier auch einziehen, hätte der eine oder andere Bewohner sicherlich Bedenken“, vermutet Eveline Moll.
Dorothee Renzel, Sprecherin der katholischen Contilia-Gruppe, die in Mülheim zwei Seniorenstifte betreibt, erklärt auf Anfrage: „Generell wäre es kein Problem, ein homosexuelles Paar bei uns unterzubringen. Aber bislang hat es eine solche Anfrage noch nicht gegeben.“
Die hiesigen Heime Franziskushaus und Hildegardishaus verfügten im vollstationären Bereich auch ganz überwiegend, zu 90 Prozent, über Einzelzimmer. Für Paare geeignete Appartements, wie in den Wohnanlagen der Contilia auf Essener Gebiet, gibt es hier nicht.
„Lebenslust“ versteht sich als Beratungsstelle
Als Beratungsstelle auch für Schwule und Lesben im Seniorenalter versteht sich „Lebenslust“ an der Teinerstraße 26.
Ein Generationcafé als lockeres Gruppentreffen findet jeden Sonntag von 16-20 Uhr an der Teinerstraße 44 statt, jeweils am 1. Sonntag im Seniorenzentrum Bonifacius. Info: Tel. 19446 oder christoph.jansen@svls.de.