Mülheim. Schwer zu verstehen, aber wahr: Eine zweite Berufsausbildung zahlt sich für Arbeitssuchende nicht immer aus. Ein Musterbeispiel.

Umschulung ist nicht gleich Umschulung. Diese Erfahrung musste jetzt eine Leserin machen. Erst gestern berichtete die NRZ darüber, dass die Sozialagentur und die Agentur für Arbeit Arbeitssuchende zu Altenpflegern und Altenpflegehelfern umschulen.

Auch die 34-jährige alleinerziehende Mutter eines Kindes hätte gerne eine solche Finanzierung von der Sozial- oder Arbeitsagentur bekommen, bekam sie aber nicht. Denn ihr Fall liegt anders und führt dazu, dass sie zwischen allen Stühlen sitzt.

Nachdem die Verkäuferin ihren Arbeitsplatz verloren hatte, hat sie in einer Fahrradwerkstatt ein Praktikum gemacht und im September dort eine Ausbildung begonnen.

Ihr neuer Arbeitgeber will sie, so schreibt sie, nach einer erfolgreichen Ausbildung in ein Arbeitsverhältnis übernehmen. Außerdem unterstützt er sie, um ihren Beruf und die Erziehung ihres Kindes miteinander vereinbaren zu können. Alles in Butter? Nicht ganz.

Kleines Lehrlingsgehalt

Denn die alleinerziehende Mutter muss monatlich von rund 990 Euro leben. Ihr Einkommen summiert sich aus ihrem kleinen Lehrlingsgehalt, dem Unterhalt und dem Kindergeld und Wohngeld. Sie betont: „Ich lebe weit unter dem Hartz-IV-Betrag, der mir zustehen würde, wenn ich arbeitslos wäre. Ich möchte aber in einem Beruf arbeiten, den ich mir ausgesucht habe, in dem mir eine Anstellung sicher ist und den ich mit meinem Privatleben vereinbaren kann. Würde sie Arbeitslosengeld II beziehen, stünden ihr, laut Sozialagentur monatlich 382 Euro für sich selbst und je nach Alter 224 bis 289 Euro für ihr Kind, zuzüglich Miet- und Heizkosten, zu.

Um ihre finanzielle Situation zu verbessern, beantragte sie bei der Agentur für Arbeit, ihre Ausbildung (mit Arbeitslosengeld und Fahrtkosten) als Umschulung zu finanzieren oder mit einer Bundesausbildungsbeihilfe von monatlich bis zu 391 Euro zu unterstützen. Das wurde ebenso abgelehnt, wie eine Aufstockung ihrer Einkünfte durch Arbeitslosengeld II.

Wie kann das sein? Die NRZ fragte bei der für berufliche Integration zuständigen Teamleiterin der Bundesagentur für Arbeit, Judith Seibert, und bei der stellvertretenden Leiterin der Sozialagentur, Jennifer Neubauer, nach. Beide Fachfrauen bestätigen, dass das Sozialrecht im Regelfall keine Finanzierung oder Förderung einer zweiten Berufsausbildung vorsieht. „Die Integration in den Arbeitsmarkt hat absoluten Vorrang. Und die Finanzierung einer Umschulung kommt nur als letztes Mittel in Betracht, wenn wir die Notwendigkeit nachweisen können, dass jemand mit seiner Biografie und seiner Berufsausbildung nicht mehr in den Arbeitsmarkt zu vermitteln ist“, erklärt Seibert die sozialrechtliche Sachlage.

Auch Bafög oder eine Bundesausbildungsbeihilfe stünden der 34-jährigen Mutter nicht zu, weil sie keine schulische, sondern bereits eine zweite betriebliche Berufsausbildung absolviert. „Diese Regelung ist anachronistisch und trägt der heutigen Wirklichkeit des lebenslangen Lernens in keiner Weise Rechnung“, gibt Neubauer zu.

Zurück in den alten Beruf?

Die gelernte Verkäuferin, die sich jetzt zur Zweiradmechanikerin mit Aussicht auf Anstellung ausbilden lassen will, wird also vom Sozialrecht dazu gezwungen, in ihrem alten Beruf als Verkäuferin weiterzuarbeiten oder nachzuweisen, dass sie dort keinerlei Vermittlungschancen hat, was faktisch wohl unmöglich sein dürfte. Diese Widersprüchlichkeit des Sozialsystems führt dazu, dass die alleinerziehende Mutter mit dem Gedanken spielt, ihre gut laufende Ausbildung abzubrechen, um zumindest Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben.

Auch wenn Neubauer fürchtet, „dass das ein Fall ist, in dem nichts richtig greift“, bittet sie die unter finanziellem Druck stehende Auszubildende und Mutter, noch einmal das Gespräch mit der Sozialagentur zu suchen, um ihre konkrete Bedürftigkeit zu berechnen und zu prüfen, ob die Sozialagentur ihr mit einem Härtefalldarlehn helfen könnte.