Mülheim. Ralf Brosowski und Brian Urry machen eine Ausbildung zum Altenpfleger. Das ist ein Knochenjob, doch beide würden nicht mehr in ihre alten Berufe zurückgehen wollen.

Wenn man ihnen vor Jahren gesagt hätte, dass sie einmal eine Ausbildung als Altenpfleger machen würden, hätten Ralf Brosowski (45) und Brian Urry (25) wahrscheinlich abgewunken. Es war die Not, die sie erfinderisch machte und sie den Weg in eine Ausbildung zum Altenpfleger gehen ließ, einen Weg der sie, wenn alles gut geht, in einen krisenfesten und existenzsichernden Arbeitsplatz führen wird.

„Das ist ein Knochenjob, bei dem man alten Leuten den Hintern abwischen muss“, beschreibt Urry ein Bild, das viele Menschen mit Altenpflege verbinden.

Ausbildung als Ausweg

Er wollte nach Fachabitur und Bundeswehr als Einzelhandels- oder Bürokaufmann arbeiten. Doch das klappte auch nach zig Bewerbungen nicht. Und so war er plötzlich auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Da wollte er raus. Die Ausbildung zum Altenpfleger eröffnete den Ausweg, auch wenn er lange daran zweifelt, ob er diesen Weg gehen sollte. „Ich habe schon beim Sanitätsdienst der Bundeswehr gemerkt, dass mich medizinische und pflegerische Themen interessieren, aber das habe ich verdrängt“, erinnert sich der angehende Altenpfleger, der inzwischen ins zweite Ausbildungsjahr vorgestoßen ist.

Erst ein Praktikum im Altenpflege- und Wohnbereich des Fliednerdorfes und eine mehrmonatige Mitarbeit als Altenpflegehilfskraft auf 400-Euro-Basis ließen in ihm die Einsicht reifen, dass die Arbeit in der Altenpflege für ihn eine dauerhafte und sichere Perspektive sein könnte. Sein Kollege Brosowski, der seine Ausbildung im Wohnstift Raadt erst in diesem Jahr begonnen hat, kam durch die Demenz seines Vaters auf die Idee, dass er in der Altenpflege Gutes bewirken könnte. „Damals habe ich zum ersten Mal begriffen, wie wichtig eine qualifizierte Altenpflege ist, die auch die Biografie der pflegebedürftigen Menschen berücksichtigt“, erinnert sich der gelernte Radio- und Fernsehtechniker. Doch erst als der dreifache Familienvater Ende 2012 seinen Job verlor, mit dem er damals ohnehin nicht mehr zufrieden war, ließ er sich auf die Suche nach einem neuen und existenzsichernden Arbeitsplatz auf die Altenpflege ein und machte ein Praktikum im Wohnstift Raadt. Im Rückblick sieht Brosowski den Verlust seines alten Arbeitsplatzes sogar als „Glücksfall“, weil er seine neue Arbeit als wesentlich sinnvoller und befriedigender erlebt.

Schockiert und interessiert

Inzwischen haben Urry und Brosowski die Sonnen- und Schattenseiten ihres Berufes kennengelernt. „Das ist ein Beruf, der mich schockiert und interessiert“, sagt Urry. Seine erste Begegnung mit einem Wundgeschwür, mit einer dementen Frau, die ihr Zimmer in ein Dampfbad verwandelt hatte oder mit einer schizophrenen Frau, die sich für Gott hält, sind ihm lebhaft in Erinnerung. „Man muss täglich mit Krankheit und Tod umgehen“, beschreibt Brosowski die größte Belastung seines Berufes.

Auch sein Kollege Urry staunt immer wieder darüber, „wie stark sich alte Menschen verändern können und wie hilfsbedürftig sie werden können.“ Doch die beiden spätberufenen Altenpflege-Azubis berichten auch vom guten Gefühl „etwas sinnvolles mit und für Menschen tun zu können“. Beide empfinden ihre Arbeit als sinnvoll und emotional bereichernd. „Man bekommt einen ganz anderen Zugang zu seinen Gefühlen und erkennt, dass es auf den Moment ankommt, den der pflegebedürftige Mensch braucht. Es ist das Lächeln, ein freundlicher Blick, das fröhliche Hallo am Morgen, das ihm Selbstwertgefühl gibt.“ Für Urry ist es ein Erfolgserlebnis, wenn er auf die Gefühle und Ängste demenziell veränderter Bewohner eingehen und sie so aus ihren Krisen herausführen kann.

Beide sehen die Menschen, die sie im Fliednerdorf und im Wohnstift Raadt pflegen, wie Familienangehörige, die ihnen zeigen, was im Leben wichtig ist und was nicht. „Ich stehe morgens gerne auf und gehe zur Arbeit, weil ich weiß, dass mich dort Menschen erwarten, die mich brauchen“, sagt Broswski. Wenn unruhige Bewohner plötzlich lächeln, ruhiger atmen und entspannen, spürt er, wie gut ihnen seine Gegenwart und Zuwendung tut.

Liebe als wichtiger Impuls

Die Liebe ist für ihn der wichtigste Impuls der Altenpflege, der ihm hilft, die Schattenseiten seines Berufes auszublenden. Gut tun den beiden reifen Pflegeazubis aber auch die Gespräche mit erfahrenen Kollegen oder Familienangehörigen, in denen sie ihre manchmal grenzwertigen Erlebnisse reflektieren können. Denn eine psychologische Begleitung in Form einer Supervision bekommen sie nicht. Was sie in ihrer Ausbildung neben medizinischem, pflegerischen, sozialkommunikativen und psychologischen Wissen mitbekommen, sind Bewegungs- und Hebetechniken.

Mit denen können sie auch bettlägerige Bewohner durch wenige leichte Berührungen bewegen, ohne sich das Kreuz ruinieren zu müssen. „Seit wir eine Ausbildung als Altenpfleger machen, haben wir keine Rückenschmerzen mehr“, versichern sie.

Dokumentations- und Administrationspflichten

Allerdings lassen sie auch keinen Zweifel daran, dass die Altenpflege wesentlich attraktiver würde, wenn die Personaldecken in den Altenheimen größer wären und die Pflegekräfte von Dokumentations- und Administrationspflichten entlastet werden könnten, um mehr Zeit für die Menschen zu haben, die sie pflegen sollen und pflegen wollen.