Mülheim. .
Zum Nachlass des Vaters von Anngret Voß zählten einige Pappkartons. Nach dem Tod von Wilhelm Schulte-Marxloh im Jahr 2000 waren diese Schachteln ein wenig in Vergessenheit geraten. Fünf Jahre dauerte es, bis Anngret Voß nachsah, was der Landwirt hinterlassen hatte. Neben seinem Fernglas, dem Fotoapparat, dem Jagdmesser und Briefen aus dem Zweiten Weltkrieg, die den Tod zweier Brüder hatten schreckliche Wahrheit werden lassen, fiel der Tochter vor allem ein Stapel Papier auf. Es zeigte sich: Wilhelm Schulte-Marxloh hatte Trauerbriefe gesammelt, und zwar viele Jahre lang.
Fein säuberlich sortiert ruhten die mehr als 100 Anzeigen unter einem Pappdeckel. „Seine Einstellung war wohl: So etwas schmeißt man nicht weg“, sagt Anngret Voß. Sie machte eine faszinierende Entdeckung: Einige der Benachrichtigungen waren wesentlich älter als der Vater, der immerhin auf 95 Jahre gekommen war. Die Mitteilung etwa, die an den Tod von Gutsbesitzer Anton Wimmar Schulte-Marxloh erinnert, stammt von 1884. „Mein Vater muss die Sammlung also von anderen übernommen haben“, so die 76-Jährige. „Für ihn war das ein Stück Geschichte. Er war sehr feinfühlig. Anders als sein Bruder Gustav; für den wäre das bloß Killefitt gewesen.“
Eine heillose Zettelwirtschaft begann
Voß interessierte sich vor allem für diejenigen Anzeigen, die etwas über ihre Familie erzählten. Über die Schulte-Marxlohs, unter denen viele Landwirte aus Menden und Saarn waren. Einige der Verstorbenen hatte sie erlebt, andere waren Fremde. Jeder aber hatte einen Platz im Familien-Puzzle; Stück für Stück erschlossen sich Anngret und ihrem Mann Fritz (77) die Verbindungen.
Ihnen kam die Idee, die Dinge auf klassische Art und Weise festzuhalten: in einem Stammbaum. Was sie positiv überraschte: „Gerade junge Leute haben uns in diesem Vorhaben bestätigt.“ Eine heillose Zettelwirtschaft begann. Jeder Name war ein Zettel, und es waren viele Namen, die im Laufe von anderthalb Jahren Recherche zusammenkamen. Das Ehepaar telefonierte mit Hinz und Kunz, sprach Nachkommen an, erfragte Lebensdaten, wälzte Kirchenbücher und verbrachte etliche Stunden im Stadtarchiv. Rund 100 Menschen waren ihnen schließlich namentlich bekannt. Die Ältesten: Anngrets Ur-Ur-Ur-Großvater, Heinrich Schulte-Marxloh, geboren 1780, und seine Frau Margarete von der Krämerheit, geborene Obermühlenbeck, aus dem Jahr 1766.
Ganz weltliche probleme
Der Stammbaum wuchs und wuchs, „aber er ist noch immer nicht fertig“, sagt Fritz Voß, der auch im Mülheimer Geschichtsverein aktiv ist. Seine Frau und er wollen weitermachen und auch noch andere Familienzweige erforschen. Dafür werden sie wieder in alten Kirchenbüchern blättern müssen. Damit hat der ehemalige Presbyter Voß übrigens ein ganz weltliches Problem: Staub macht ihm zu schaffen, „ich muss immer gleich niesen. . .“