Vielleicht ist es eine der letzten Gelegenheiten, Zeitzeugen, die den Krieg miterlebt haben, und Jugendliche zum Gespräch zusammen zu bringen. Mit einer Begegnung der Generationen und einer Kranzniederlegung will Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld am kommenden Sonntag zum 70. Jahrestag jener Bombennacht gedenken, der 530 Menschen zum Opfer fielen. Das birgt Risiken und kann missverstanden werden. Vor 15, 20 Jahren hätte man das nicht gewagt, weil man befürchtet hätte, womöglich auch aus Tätern Opfer zu machen und die Opfer des Nationalsozialismus damit zu verletzen. Mit „Der Brand“ trug der Historiker Jörg Friedrich vor zehn Jahren wesentlich zu einem Perspektivwechsel bei, wodurch auch die Strategie des Luftwaffengenerals Arthur „Bomber“ Harris kritisch gesehen wurde.
Für Mühlenfeld und Archivleiter Kai Rawe hat das Gedenken an die Opfer aber nichts mit Schuld oder Verantwortung zu tun. Daran gibt es nichts zu deuteln. „Der Krieg ist zu uns zurück gekommen“, wie es die Oberbürgermeisterin ausdrückt. Die Ursachen für die Bombardements liegen eindeutig im Nationalsozialismus in Deutschland. „Der Bombenangriff war keine Naturkatastrophe, aber eine Katastrophe für die Stadtgeschichte, die spätestens 1933 begann“, so Rawe. Gerade in Mülheim hätten die Nazis überdurchschnittlich viele Anhänger gehabt, hätten auch hier die Menschen begeistert „Heil Hitler!“ geschrien, weggeschaut, wenn Nachbarn verschwunden seien oder 1938 die Synagoge in Flammen aufgegangen sei. Den Angriff werde er an dem Gedenktag auch in diesen Zusammenhang stellen.
Über 40 Zeitzeugen hatten sich nach dem Aufruf der Stadt gemeldet. Vier waren bereit für eine Diskussion auf dem Podium. In kleinerer Runde soll an Tischen das Gespräch dann intensiviert werden, wobei das Thema wesentlich weiter aufgefächert wird: von Schule in der NS-Zeit über Kinderlandverschickung bis hin zur Arbeitswelt während des Weltkrieges. So wäre die Bombennacht zwar der Anlass für das Generationsgespräch, das sich aber nicht in diesem Thema erschöpfen würde. „Die Zeitzeugen wollen nicht nur erzählen, wie schrecklich es ihnen ergangen ist und wie sie gelitten haben, sondern haben auch eine Botschaft“, betont Rawe: Wie wertvoll eine wachsame Demokratie und 70 Jahre Frieden sind.
Darüber hinaus ermöglicht die Begegnung mit Zeitzeugen auch einen ganz anderen Zugang zum Thema, das dann von den Jugendlichen unmittelbar erlebbar wird. Sie sehen dann, dass der Nationalsozialismus nicht in Berlin eine Rolle spielt, sondern auch hier in Mülheim. „So etwas kann ganz viel auslösen“, weiß Mühlenfeld. Ein solcher unmittelbarer Impuls ist gerade für die Behandlung des Nationalsozialismus wichtig, wie Rawe zum Beispiel im Zusammenhang mit den Stolpersteinen-Projekten festgestellt hat. Da konnte er erleben, wie Schüler, die zuvor kein großes Interesse an Geschichte hatten, plötzlich einen großen Motivationsschub erlebt haben.