Mülheim an der Ruhr. .
Der Herbst steht vor der Tür, die Zeit von Besinnung und Erinnerung. Da passt es, dass am Wochenende der Tag des Friedhofs begangen wird. Es ist eine Gelegenheit, innezuhalten und sich zu überlegen, was uns Menschen dieser Ort bedeutet. Im Gespräch mit dem emeritierten Weihbischof Franz Grave ging es auch um Kriegsgräberstätten und ihre Rolle im Leben der Hinterbliebenen – sowie um deren aktuelle Bedeutung. Die verstörenden Bilder aus Syrien zeigten täglich, dass die Parole aller Verantwortlichen heißen müsse: Nie mehr Krieg!
Die Bedeutung eines Friedhofs, sagt der 80-Jährige, zeige sich schon an einer simplen Beobachtung: „Menschen, die an einer Beerdigung teilnehmen, sind vor dem Friedhof in völlig anderer Gemütslage als auf dem Friedhof.“ Die Begräbnisstätte mache nachdenklich, wecke Erinnerungen, verdeutliche die eigene Vergänglichkeit und löse Fragen nach dem Sinn des Lebens aus. Aber nicht nur Trauer, sondern auch Zuversicht gehe von diesem besonderen Ort aus. Und ein Friedhof bringe die christliche Glaubensüberzeugung zum Ausdruck: durch die allgegenwärtigen Kreuze und die auf Grabsteinen eingravierten Bibel- und Sinnsprüche.
Erinnerungsmal an erbarmungslose Zeiten
Ein Friedhof nun, auf dem Kriegsopfer ruhen, sei vor allem ein Erinnerungsmal an erbarmungslose Zeiten. „Dort werden die Ernsthaftigkeit und die bittere Realität von Krieg deutlich.“ Es sei wichtig, diese Orte nicht zu verstecken und Gedenktage zu pflegen – „wir müssen die Erinnerung wachhalten und zeigen, wozu Menschen fähig sind“.
Kriegsgräberstätten aber als reine Orte der Vergangenheit abzustempeln, sei grundfalsch: „Das belegen die aktuellen Bilder aus Syrien. So etwas Schreckliches haben wir jahrelang nicht mehr gesehen“, sagt Franz Grave. Und betont: Krieg könne niemals Mittel zum Frieden sein, auch nicht in der aktuellen Situation.
Es mache im Übrigen keinen Unterschied, ob man an der Ruhestätte eines Soldaten stehe oder an der eines Kriegsgefangenen: „Im christlichen Sinne stehe ich nicht am Grab eines schuldigen oder weniger schuldigen Menschen. Ich stehe am Grab eines Toten und muss kein Urteil fällen – er ist so oder so ein Opfer des Krieges geworden.“ Für Weihbischof Grave, der zum Seelsorgerteam der Mülheimer Kirchengemeinde St. Mariä Geburt gehört, ist es mehr als verständlich, dass sich auch noch Jahrzehnte nach dem Krieg Menschen auf die Suche nach Vater, Opa, Onkel machen. Der Mensch sei so gestrickt, dass er auf wichtige Fragen des Lebens eine Antwort brauche. „Nach langer Ungewissheit finden die Menschen am Grab Gewissheit – auch, wenn es eine traurige ist.“
Verbundenheit mit dem Toten
Das könne Verbundenheit mit dem Toten schaffen, selbst dann, wenn Kinder keine oder nur wenig Erinnerung an den Vater haben: so wie Walter Goerdt, Lieselotte Neumann und die Geschwister Frey, deren Geschichten wir in dieser Ausgabe erzählen.