Mülheim.

Die als letzte ihrer Art angekündigte Bürgerversammlung zur aktuellen Nahverkehrsplanung der Stadt ist Geschichte. Wir dokumentieren in Auszügen Anliegen, die einige der rund 150 bis 200 Bürger am Dienstagabend in der Realschule Stadtmitte bei schwieriger Akustik, schlechten Lichtverhältnissen und knapper Zeit, die für Bürgerbeiträge frei war, zu Protokoll gegeben haben.

Straßenbahn 104. Bürger Thomas Kirchner kritisierte, dass die Linie künftig zwischen 9 und 20 Uhr nur noch alle 15 statt alle 10 Minuten die Aktienstraße hochfahren soll – und folglich nur noch alle 30 Minuten über die Haltestelle „Grenze Borbeck“ hinaus zum „Abzweig Aktienstraße“, wo ein Umstieg auf die Essener Linie 105 dann noch zeitaufwändiger würde. Verkehrsplaner Roland Jansen verteidigte die Taktreduzierung und die Verknüpfung zur 105 in Essen. Das entspreche den Bedarfen, die die Städte Essen und Mülheim separat für sich ausgemacht hätten.

Kirchner, der im Vorjahr ein eigenes Straßenbahn-Konzept eingebracht hat, sieht die Taktreduzierung als „deutliche Verschlechterung“. Zu seinen eigenen Vorschlägen vermisst er eine fundierte Wertung durch Stadt und Gutachter. Matthias Dierks fragte nach, ob die 104 nicht zumindest auf einem Gleis zum Flughafen fahren könne. MVG-Angebotsplaner Peter Schwarz sagte, man habe dies schon vor Jahren geprüft, „die Bezirksregierung toleriert keine Eingleisigkeit“.

Straßenbahn 102. Ein Bürger kritisierte die geplante Taktreduzierung werktags zwischen 9 und 20 Uhr von 10 auf 15 Minuten. Auf der nördlichen Route nach Oberdümpten gebe es im Schülerverkehr schon heute Engpässe. Man werde bei Bedarf möglicherweise mit mehr E-Bussen für die Schulen planen, entgegnete Verkehrsdezernent Peter Vermeulen.

Straßenbahn 110. Ein Vertreter von Pro Bahn merkte an, dass der Styrumer Teil der Strecke zwischen Thyssen-Brücke und Friesenstraße seiner Ansicht nach noch sehr gut in Schuss sei, noch vor nicht allzu langer Zeit seien die Bereiche an der Steinkamp- und Hauskamp­straße saniert worden. Bei der beabsichtigten Stilllegung der Strecke frage er sich, wie viele Fördermittel die Stadt zurückzahlen müsse. „Wir gehen davon aus, dass es keine Rückzahlungsverpflichtungen geben wird“, entgegnete Dezernent Vermeulen.

Straßenbahn nach Saarn. Rainer Nelbach von den Piraten fragte sich, „warum die 102 im Südosten immer noch durch menschenleeres Gebiet und nicht nach Saarn fährt“, wie schon seit Jahrzehnten diskutiert. Das sei „wirtschaftlich nicht darstellbar“, sagte Vermeulen. Verkehrsplaner Roland Jansen sprach davon, dies sei „nur mittel- und langfristig möglich“.

Kosten Straßenbahn. Der Straßenbahn-Kilometer, so Gutachter Jean-Marc Stuhm, sei in Mülheim mit nahezu dem fünffachen Zuschussbedarf behaftet als der Buskilometer. „Da läuten bei uns Gutachtern die Alarmglocken.“ Die alten Fahrzeuge seien zu klein, die Fahrgastzahlen der Mülheimer Straßenbahnen „viel niedriger“ als in anderen Städten“, zu viele Busse machten den Bahnen aktuell durch Parallelverkehr Konkurrenz . . .

Dezernent Vermeulen machte noch mal deutlich, dass der neue Nahverkehrsplan die politische Vorgabe zu erfüllen habe, strukturell 2 Mio. Euro einzusparen. Weil die Politik mittlerweile aber per Grundsatzbeschluss entschieden habe, an der kostspieligen Straßenbahninfrastruktur, wenn auch in abgespeckter Form, festzuhalten, seien Taktreduzierungen im Straßenbahnverkehr die wesentlichen Stellschrauben, um tatsächlich auf 2 Mio. Euro zu kommen. Insgesamt ließ Vermeulen durchblicken, dass er die geschichtlich gewachsene Schienen-Infrastruktur für den wesentlichen Kostentreiber in Mülheims ÖPNV hält.

Sauberkeit. Gleich mehrere Bürger beklagten eine mangelhafte Sauberkeit in den Straßenbahnen der MVG. „Vor 20 Jahren“, so Bürger Matthias Dierks, „war die Wagenpflege noch die beste im Ruhrgebiet, jetzt die schlechteste.“ Dezernent Peter Vermeulen bat MVG-Angebotsplaner Peter Schwarz um Stellungnahme, der winkte jedoch ab. Dies fällt auch nicht in seinen Zuständigkeitsbereich.

Aufsichtsrat Wolfgang Michels (CDU) verteidigte die MVG. Er könne sich schwer vorstellen, dass etwa die Essener und Duisburger Wagen gründlicher gereinigt würden. Im Via-Verbund sei dafür nämlich ein und derselbe Technische Geschäftsführer verantwortlich: MVG-Chef Klaus-Peter Wandelenus. Dezernent Vermeulen sieht einen Zusammenhang von Sauberkeit und immens hohem Alter der Bahnen. Sie sollen aber ja bald schon ausgemustert werden . . .

Städteübergreifender Verkehr. Mintarder wollen nicht nur die direkte Busverbindung in die Innenstadt erhalten sehen, sondern wünschen sich einen Bus nach Kettwig und einen Verknüpfungspunkt zum Ratinger ÖPNV-Angebot auf dem Mintarder Berg. Ein Styrumer regte an, die als Ersatz für die Straßenbahn 110 geplante Buslinie 130 über die Friesenstraße hinaus zum Hauptbahnhof in Oberhausen durchzubinden. Verkehrsplaner Roland Jansen sieht dafür keine Chance. Essen und Oberhausen sähen dafür keinen Bedarf. Auf die Achse Ratingen/Mintard ging Jansen nicht ein. Dafür aber auf eine mögliche Verlängerung der neuen Linie 130 (Styrum - Flughafen) über Raadt hinaus. Jansen berichtete von laufenden Gesprächen mit der Essener Evag, die Linie „bis Borbeck, vielleicht auch weiter zu führen“.

Anbindung an die einzelnen Stadtteile 

Anbindung Selbeck. Insbesondere mit Blick auf den Schülerverkehr äußerte Bürgerin Sylvia Steinbichler Kritik an dem Plan, die Buslinie 752, die von Selbeck aus über Saarn und am Kassenberg vorbei die Innenstadt ansteuert, aufzugeben. Trotz Einsatzbussen seien die Schüler aus Selbeck oft auf diese Linie angewiesen, um zu den weiterführenden Schulen, aber auch zum Sportunterricht morgens um 7.50 Uhr in der Harbecke-Halle zu gelangen. Laut Steinbichler sind die Einsatzbusse für den Schülertransfer seit August 2012 an 21 Tagen „entweder gar nicht oder zu spät gekommen“.

Anbindung Mintard. Für die Beibehaltung der Direktverbindung zur Innenstadt plädierten gleich mehrere Bürger der zahlreich vertretenen Mintarder. Lothar Giesen etwa forderte die Verwaltung auf, das Einsparpotenzial offenzulegen, wenn die Mintarder Strecke wie von den Gutachtern geplant an die äußerst schwach frequentierte Hafen-Linie 134 über den Broicher und Speldorfer Süden angebunden wird. Eine blinde Bürgerin sieht Probleme bei einem erzwungenen Umstieg in Saarn. Eine Vertreterin der Außenwohngruppe des St. Josefshauses befürchtet unzumutbare Schulwege, vor allem zur Hauptschule in Dümpten.

Anbindung Scharpenberg/Menden. In der Debatte um die Zukunft des Südastes der Buslinie 151 (Innenstadt - Menden - Kettwig) brachte noch mal Heinz Radermacher für das Seniorenwohnhaus am Scharpenberg Bedenken vor. Die Haltestelle sei nicht nur für die Senioren, die in der Innenstadt einkaufen und Ärzte aufsuchen müssten, sondern auch für benachbarte Schulen und die Ev. Familienbildungsstätte von großer Bedeutung. Radermacher erntete den meisten Applaus am Abend. Am Rande der Bürgerversammlung forderten Mendener Bürger die Stadt auf, die Daten der neuerlichen Fahrgastzählung zu veröffentlichen.

Kritik Pro Bahn. „Offensichtlich gibt es hier niemanden, der die Pläne auf Plausibilität überprüft“ – mit scharfer Kritik meldete sich Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn bei der Bürgerversammlung zur Nahverkehrsplanung zu Wort.

Detailreich zählte er vermeintliche Ungereimtheiten und offensichtliche Fehler in dem gedruckten Entwurf des Nahverkehrsplans auf. „Zahlenfehler“, empörte er sich, „sind den Entscheidungsträgern offenbar nicht aufgefallen.“ Etwa sei im Linienstreckenprofil der stark genutzten Linie 131, die Saarn mit der Innenstadt verbinde, vermerkt, sie solle samstags nur im 30-Minuten-Takt verkehren. Viel zu wenig, so Ebbers. Solche Ungereimtheiten zögen sich durch das gesamte Gutachter-Konzept.

Würden die Fehler behoben, so der Pro-Bahn-Vertreter, „wird die Umsetzung drastisch teurer“. Nicht ausgereift sei etwa auch der Plan, die Linie 134 bis nach Mintard zu verlängern. Für die entsprechend längere Fahrtzeit müssten wohl mehr Busse eingesetzt werden, vor dem Richtungswechsel entstünden lange Pufferzeiten.