Mülheim.

Nach der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“ wurden hunderttausende behinderte und psychisch kranke Menschen systematisch ermordet. An der Auerstraße 59 liegt ein Stolperstein für Benjamin Traub. In seinem Namen will Dr. Hartmut Traub die Erinnerung an die Euthanasie-Opfer wach halten. In einem Buch, das jetzt im Essener Klartextverlag erschienen ist, stellt er den Lebens- und Leidensweg seines Onkels Benjamin in Zusammenhang mit der Nachkriegs- und Gegenwartsgeschichte. Eine Recherche von emotionaler Tiefe.

Ist denn in der Familie darüber gesprochen worden, was mit Benjamin Traub passiert ist?

Hartmut Traub: Es ist symptomatisch für viele Familien, in denen es euthanasierte Angehörige gegeben hat, auch in unserer Familie, dass über Benjamins Schicksal nicht gesprochen worden ist. Wir wussten zwar ganz diffus, dass er Opfer der Euthanasie gewesen und in Bedburg-Hau in stationärer Behandlung gewesen ist, aber im Detail wussten wir gar nichts.

Es gab einen Brief, dass er am 13. April 1941 in der Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar, damals Tötungsanstalt, verstarb.

Die Kopie des Briefes über seinen Tod ist erst nach dem Tod meines Vaters in meine Hände und die meiner Geschwister gelangt. Nachdem ich das Buch über meinen Vater geschrieben hatte und darin erwähnt habe, dass Benjamin Opfer der Euthanasie gewesen ist. Weil die Tagebuch-Aufzeichnungen meines Vaters etwas detaillierter waren, ist das Thema in der Familie wieder aufgekratzt worden: Da ist jemand, der ist Opfer der nationalsozialistischen Rassenhygiene geworden.

Wie haben Sie die Geschichte recherchiert?

Traub: Ich bin u.a. im Stadtarchiv gewesen, habe mir die Listen des ehemaligen Realgymnasiums, der heutigen Karl-Ziegler-Schule, angeguckt, recherchiert, wann und wo er in die Schule gegangen. Ich war beim Standesamt und am Blötter Weg, wo Benjamin geboren wurde. Eine Recherche bekommt dann schnell einen Schneeballeffekt. Dann habe ich Sigrid Falkenstein kennen gelernt, die das Buch „Annas Spuren“ geschrieben hat und in Berlin lebt. Dabei stellte sich heraus, dass sie aus Mülheim kommt und Schicksalsverknüpfungen unsere Familien miteinander verbunden haben. Sigrid Falkenstein hat mich mit Informationen versorgt und der Runde Tisch T4 in Berlin arbeitet viel an der Gedenkkultur für Euthanasie-Opfer.

Auch interessant

Haben Informationspartner auch schon mal abgeblockt?

Traub: Was den Landeswohlfahrtsverband in Hessen angeht, die waren total prima. Frau Professor Vanja hat sofort gesagt, ja klar. Ich hab’ auch deren dickes Buch über die Geschichte von Hadamar gelesen. Und auch Dr. Lilienthal, Leiter der Gedenkstätte Hadamar, war sehr hilfsbereit. Er hat sogar für mich im Bundesarchiv in Berlin nachgefragt, ob die Krankenakte von Benjamin noch verfügbar ist.

Wie ist das, wenn man über Familienangehörige recherchiert?

Es ist noch mal eine ganz andere Qualität, ob man sich damit professionell oder als Betroffener beschäftigt. Das ist für mich ein Erlebnis, das ich aufarbeite. Ich war in der letzten Woche in Hadamar und hatte schon auf der Fahrt Magenschmerzen. Dann kommt man in den Gedenkstätten-Teil des modernisierten Krankenhauses. Wenn man die alten Bilder kennt, dann weiß man: Da unten im Keller waren Gaskammer und Krematorium, da haben die zu zweit täglich 60, 70 Menschen vergast. Ich wollte hinterher alles ganz genau wissen: Wie waren die technischen Abläufe? Was für eine logistische Herausforderung? Trotz aktueller Forschung – da gibt’s noch viele offene Fragen. Man muss sich vorstellen, es wurden insgesamt 300.000 Menschen in relativ kurzer Zeit vernichtet. Allein in Hadamar waren es in einem halben Jahr 12.000 Menschen.