Mülheim. .
Mitte 1941 begannen in Mülheim bereits die Sirenen zu heulen. Ich hatte dieses Geheule der Sirenen als Fünfjähriger noch sehr gerne, denn ich brauchte nicht zu Bett gehen, sondern ab in den Keller. Meines Wissens fiel bereits 1941 mit allem Drum und Dran die erste Bombe in Broich, auf der Maxstraße.
Ab hier fand ich Alarm nicht mehr schön, sondern beängstigend. Ein Jahr später fielen in Broich auf der Kirchstraße einige Bomben und die Zerstörungen an den Häuserrückwänden an der Cheruskerstraße waren schon gewaltig. Im Keller saßen die Hausbewohner, die Decken und Wände stürzten ein. Man kann sich diese Schreie und das Durcheinander der Menschen krass vorstellen. Da die Kellerdecke durch starke Pfeiler abgestützt war, gab es wie ein Wunder keine Toten, sondern „nur“ verletzte Bewohner.
Zittern und Bangen
Die Häuser Cheruskerstraße 34, 36, 38 und 40 waren zum Teil nicht mehr bewohnbar. Einige Bewohner zogen, bis ihre Häuser notdürftig repariert waren, zur Infanteriekaserne an der Kaiserstraße. Auch hier wurde es für mich als Knirps noch mal lustig, denn ich saß häufig beim Exerzieren der Soldaten auf deren Schultern.
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Meine Patentante wohnte in Dortmund. Sie wollten wir am 22. Juni für einige Tage besuchen. Mein Vater war bei der Eisenbahn in Russland, mein Bruder, damals 19, beim Militär. Meine Schwester (20) war die Einzige, die beim Großangriff 1943 im Keller zitterte und bangte.
Beim Angriff auf Mülheim war nachts selbst noch in Dortmund der ganze Himmel rot und hell. Meine Mutter bekam ein unheimliches Gefühl, wahrscheinlich ihr Mutterinstinkt, dass der Angriff auf Mülheim und ihre Tochter dort alleine sei. Ich höre noch meinen Onkel, breitbeinig am Fenster stehend, dass der Angriff auf Gelsenkirchen sei. Meine Mutter war nicht zu beruhigen. Sie ließ sich aber durch das Wiederholen meines Onkels, „Angriff auf Gelsenkirchen“, etwas beruhigen. Aber wie sagt man so schön: Das eigene Hemd sitzt am nächsten.
Wachsende Unruhe
Der Besuch war zwar für einige Tage vorgesehen, aber meine Mutter war nicht zu halten und wollte am nächsten Tag, am 24. Juni, sofort nach Mülheim zurück. Es hatte sich auch in Dortmund und im Zug herumgesprochen, dass der Angriff der letzten Nacht Mülheim galt. Die Unruhe wuchs bei meiner Mutter und erst als sie meine Schwester in die Arme nehmen konnte, trat Ruhe ein und es wurde erzählt. Broich hatte bei dem Angriff so gut wie keine Zerstörungen erlitten.
Diese grauenhaften und viele andere böse Erinnerungen zwischen 1940 und 1950 lassen mich bis heute nicht los. Ich meine immer, es wäre fast gestern gewesen.