Wikinger aus Bilk beim Pfingst-Spectaculum in Mülheim
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Mülheim.
Die einen fahren zum Zelten nach Holland, die anderen zum Camping an die Nordsee – oder ganz Sonnenhungrige fliegen spontan dahin, wo das Wetter definitiv besser ist als in den heimischen Gefilden. Nicht so Familie Heidemüller aus Düsseldorf: Ihr Pfingstwochenende haben sie in der Müga verbracht, als stilechter Wikinger-Clan beim Spectaculum rund um das Schloss Broich. Ohne Strom, ohne fließend Wasser und ohne Handy, dafür mit Zelt, großer Tafel, Feuerstelle und mittelalterlichen Schlafgelegenheiten stellen sie als „Die Bilicis“ – benannt nach dem Düsseldorfer Stadtteil Bilk – eine Handwerksfamilie nach, die um 950 im nördlichen Dänemark leben soll. Was für den Besucher ein authentischer Einblick in frühere Zeiten ist, ist für die Familie ein gemeinsames Hobby, das generationenübergreifend als Auszeit vom stressigen Alltag dient.
Fleischklopse im Wikinger-Topf
Samstagnachmittag: Über dem Lager der Bilicis steigt Rauch auf. Hannelore Heidemüller steht in braunem Magd-Gewand am Feuer und brät in einer schmiedeeisernen Pfanne Fleischklopse, die mit Gemüse gespickt sind. „Die kommen nachher in unseren Wikinger-Topf“, sagt die 61-Jährige, während sie die Frikadellen wendet. Käse, Paprika, Zwiebeln und Spätzle sollen später dazukommen. Neugierig schauen Besucher ihr zu, während sie nach den mittelalterlichen Möglichkeiten kocht. An die Rezepte komme sie über das Internet oder entsprechende Kochbücher.
Pfingst-Spektakulum
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„Allein für Wikinger-Clans gibt’s bereits drei. Und wir haben natürlich alle drei“, erzählt Tochter Katrin lachend. Die 31-Jährige ist mit ihrem Mann bei dem Familienhobby dabei, ebenso wie ihr 34 Jahre alter Bruder und dessen Frau. Eine Aufgabe hat jeder, die Frauen kochen oder stricken, zumindest ist das „Naalbinding“, das Katrin Heidemüller vorführt, dem sehr ähnlich. Die Männer dagegen hacken Holz, stellen kleine Ledererzeugnisse her und ziehen, wie etwa Schwiegersohn Thomas, mit schwerem Kettenhemd und Schwert, in den Kampf, der für die Zuschauer in der Müga in einer Ritterschlacht nachgestellt wird.
Gewachsene Szene
Das Familienoberhaupt Gunther Heidemüller (65) macht es sich jedoch lieber an der Tafel bequem. „Wie das angefangen hat, ist einfach: Wir sind auf einem Mittelaltermarkt gewesen, man bekommt Interesse, geht öfter hin, probiert es aus und besorgt sich selber Equipment“, sagt er über das etwas andere „Camping“. Das war vor neun Jahren, mittlerweile sind er und seine Frau in Rente. Das wievielte Mal sie bereits am Schloss Broich zu Gast, wissen beide nicht. Der Ablauf ist jedoch stets derselbe: „Man muss sich bei den Veranstaltern mit Fotos bewerben.“ Ziel sei es schließlich, möglichst authentisch dem Publikum die Zeit näher zu bringen und den Markt zu bereichern. Zehn bis zwölf Märkte besuchen die Bilicis, „aber nur in NRW“, wie Gunther Heidemüller sagt. Die Szene sei mittlerweile so gewachsen, so dass das Angebot in der Nachbarschaft groß sei.
Warum machen die Heidemüllers aber nicht normales Camping an Rhein oder Ruhr, warum muss es mittelalterlich sein? „Das ist eine Auszeit“, betont Hannelore Heidemüller. Viele Teilnehmer hätten einen stressigen Job, da sei das Camping unter erschwerten Bedingungen eine andere Welt, in der alles von einem abfällt. „Man verliert vollkommen das Zeitgefühl“, sagt sie und deutet zufrieden auf ihr nacktes Handgelenk.
Historica-Nachtshow als Höhepunkt
Anders als die Wikinger-Familie Heidemüller, die alles zeitgetreu nachahmt, fallen dem Beobachter beim dreitätigen Pfingst-Spectaculum rund um Schloß Broich kleine amüsante Tücken auf. Dinge, die man eben nicht ins dunkle Mittelalter versetzen kann: Da gibt’s an den Ständen Sprizz oder Prosecco für drei oder wahlweise dreieinhalb Taler, raucht mancher Ritter oder manche Magd genüsslich ihre Zigarette oder greift zum Handy. Stören tut sich daran niemand, denn das Gesamtbild stimmt, auch wenn bei der Ritterschlacht Erwachsene gegen kleine Besucher nur mit der Schaumstoff-Nudel gekämpft werden darf.
Währenddessen wird im Schlosshof zu Dudelsack-Klängen getanzt und geklatscht, aus Tonkrügen am Met genippt oder sich neu eingekleidet. Großer Beliebtheit erfreut sich auch das Kamelreiten durch die Müga, ebenso wie das Bogen- und Armbrustschießen. Viele besuchen das Mölmsche Spektakel, so begründen sie es, weil es eine Vielfalt an mittelalterlichen Ständen gibt. Das reicht von der Wahrsagerin über byzantinisches Gebäck bis zur Handwerkskunst aus der Zeit. Ein Höhepunkt: die Nachtshow „Historica“ am Samstagabend, nur mit dem Wetter haben die Verantwortlichen nicht so viel Glück. Statt sengender Hitze wie 2012 ist es: wechselhaft.
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