Mülheim. .
Beim Umgang mit dem Handy brauchen wohl die wenigsten Jugendlichen Nachhilfe, dennoch machte der Unternehmerverband nun zwei Tage lang mit den 118 Neuntklässlern der Realschule Stadtmitte ein „Telefontraining“. Im Mittelpunkt dessen stand das richtige Auftreten im telefonischen Gespräch mit potenziellen Arbeitgebern. Nach theoretischer Einführung riefen Freiwillige bei eingeweihten Mülheimer Unternehmen an und bewarben sich um ein fiktives Praktikum. Das Training ist ein Baustein der „vertieften Berufsorientierung“ der Schule, die zum Ziel hat, mehr Realschüler in eine betriebliche Ausbildung zu bringen.
Die Zahlen kennt Schulleiter Gebhard Lürig aus dem Effeff: Durchschnittlich beginnen nur 7 bis 10 % der Mülheimer Realschüler nach Abschluss der zehnten Klasse eine Lehre. Der Großteil, 50 bis 60 %, wechselt in die Oberstufe an Gymnasien, Gesamtschulen oder Berufskollegs. „Früher war das umgekehrt. Da haben die Realschulen die klassischen Facharbeiter bedient“, sagt Lürig und ist überzeugt, dass man wieder dahin zurück muss und dass beim so oft zitierten Fachkräftemangel die Fähigkeiten von Realschülern nicht übersehen werden dürfen.
Duale Ausbildung bietet Chancen für Realschüler
Bedingungslose Unterstützung erhält er von Wolfgang Draeger. Er ist operativer Geschäftsführer der für Mülheim zuständigen Agentur für Arbeit, die das Telefontraining über ein Sonderprogramm finanzierte, und er ist sicher, dass gerade die duale Ausbildung große Chancen für Realschüler bietet. Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten seien heute besser als vor 25 Jahren, niemand müsse nach der Ausbildung bis zur Rente stehen bleiben: „Vieles ist real machbar, und dieses Bild müssen wir vermitteln.“
Dabei setzt die Realschule Stadtmitte auf informierte Schüler. Die Kooperation mit dem Unternehmerverband sei ein Modul, sagt Berufswahl-Koordinatorin Angelika Rindt-Göbig. Kompetenz-Checks, Betriebserkundungen und Praktika seien weitere. Künftig, berichtet der Schulleiter der MINT-Schule, soll in Klasse 8 und 9 je ein halbes Jahr lang das Fach „Berufswahl“ unterrichtet werden, zwei Stunden in der Woche. „Da wird dann viel gebündelt.“
Anforderungen der Unternehmen lassen Realschüler oft außen vor
Nathalie Stamsen, die am Telefontraining teilnahm, besucht aktuell die Klasse 9a und braucht dieses Schulfach nicht mehr. Die 16-Jährige hat schon einen Berufswunsch: Sie möchte Hotelfachfrau werden – am liebsten „mit Europaqualifikation“, doch wird dafür Abitur verlangt. Das ist wiederum die andere Seite der Statistik: die Anforderungen der Unternehmer, die Realschüler teils außen vor lassen. Das weiß auch Wolfgang Draeger: „Ob man für eine Friseurausbildung wirklich Abitur braucht, ist fraglich.“ Auch Realschüler könnten den gestiegenen Anforderungen in Unternehmen gerecht werden. So muss das Image der dualen Ausbildung nicht nur bei Schülern und Eltern verbessert werden, sondern auch bei Unternehmern.