Mülheim.

Meine Eltern betrieben ein Konditorei-Café auf dem Kohlenkamp 34 mit circa 120 Plätzen auf zwei Ebenen. Am Löhberg war ein zweiter Eingang zum Café.

„Heute sind wir dran!“

In der Nacht vom 22. auf den 23. Juni, tags zuvor war mein neunter Geburtstag, schrillten wie so oft die Sirenen, am Ende Vollalarm. Meine Eltern gingen mit uns vier Kindern und anderen Hausbewohnern in den Luftschutzkeller im Haus Kohlenkamp 34. Nach kurzer Zeit ging mein Vater auf die Straße, um zu schauen – und kam ganz aufgeregt wieder runter und sagte: „Heute sind wir dran!“

Überall am Himmel waren die so genannten Christbäume zu sehen. Dann ging es schon los. Ein ohrenbetäubender Krach und das Splittern der Bomben: Man konnte sehen, wie sich die Kellerdecke hob und senkte. Im Nu sahen die Erwachsenen, dass oben alles brannte und das ganze Treppenhaus, damals aus Holz, in Flammen stand. Wir waren also alle in unserem Keller eingesperrt. Die Frauen weinten, die Kinder schrien.

Zum Glück hatten wir im Keller Durchbrüche zu den Nachbarhäusern, die man mit wenig Aufwand öffnen konnte. Im Nachbarhaus trafen wir die Bäckerfamilie Hilberath an. Gemeinsam sollte es nach oben gehen, bei denen ging das noch. Oben im Flurausgang nahmen uns einige Luftschutzhelfer in Empfang.

Furchtbarer Feuersturm - "ganz Mülheim brannte"

Sie nahmen uns meine kleine zweijährige Schwester einfach weg, um uns überhaupt aus den brennenden Häusern auf die ebenfalls brennende Straße zu bekommen. So mussten wir alle auf die Straße, es war ein furchtbarer Feuersturm. Es regnete förmlich Feuer und Asche. Ganz Mülheim brannte. Den Anblick werde ich wohl lebenslang nicht mehr loswerden. Wenn ich die Augen schließe und daran denke, sehe ich wieder das viele Feuer vor mir.

Wir landeten im großen Luftschutzbunker auf dem damaligen Post-Vorplatz. Dort herrschte großes Gedränge und bei uns fehlte in der ganzen Aufregung meine größere Schwester. Sie traf aber nach einiger Zeit auch dort ein. Wir waren alle noch am Leben, hatten aber nur das gerettet, was wir am Leibe hatten.

Über Nacht bitterarm

Unsere ganze Familie war über Nacht bitterarm. Im Nachbarhaus, im Lebensmittelgeschäft Reichelt, gab es sogar sieben Tote. In den nächsten Tagen und Wochen halfen die Verwandten aus Gelsenkirchen und Freunde und Kollegen aus Mülheim. Meine Schwester und mein Bruder kamen zu Bekannten auf einen Bauernhof im Hunsrück, ich selbst zu meinen Großeltern in Lippstadt. Meine Eltern mit der jüngsten Schwester blieben in Mülheim, sie verschlug es nach Speldorf.

Nun habe ich die Erlebnisse dieses fürchterlichen Ereignisses mal kurz niedergeschrieben. Generell spreche ich nicht gerne darüber, habe es wohl irgendwie in meinem Gedächtnis begraben. Mein eigentliches, bewusstes Leben hat erst nach dem Krieg begonnen, als ich nach Mülheim zurück konnte.