Eine jubelnde Menschenmenge unter den Hakenkreuz-Fahnen und Hitler, der über allem steht, mit bellender Stimme die Massen mit seiner krankhaften Ideologie infiziert. Wie gelang es diesem Despoten, zu solcher Macht über Menschen zu kommen? Eine der vielen Fragen, die am besten die beantworten, die das Dritte Reich erlebt haben. Wie die heute 82-jährige Künstlerin Ursula Graeff-Hirsch.
In welch schlimmem Ausmaß Künstler, Musiker, Autoren und Wissenschaftler in der Nazi-Diktatur verfolgt wurden, wird in der Ausstellung im Kunstmuseum deutlich. Dazu gibt es ein Zeitzeugen-Projekt, bei dem Sie mitmachen. Was erzählen Sie den jungen Leuten?
Ursula Graeff-Hirsch: Den jungen Leuten will ich erzählen, mit welcher Raffinesse Menschen eingefangen wurden. Raffiniert deswegen, weil wir ja begeistert wurden für einen schrecklichen Zweck, den man später erst erkannte. Zum Teil hat es sich ja schon um vormilitärische Ausbildungen gehandelt.
Sie meinen die Hitlerjugend (HJ), wo Jungen und Mädchen getrennt voneinander in Gruppen für das System gedrillt wurden?
Graeff-Hirsch: Ja, wir mussten doch, das war Pflicht. Und Sport war ganz groß angesagt. Bei den Jungen gab’s verschiedene Einheiten – eine Motor-HJ, eine Reiter-HJ, eine Segel-HJ. Da konnten Jungen umsonst Motorrad fahren, Pferde haben und segeln. Alles umsonst. Wer ist da nicht begeistert? Dann geht man schon fast automatisch gern zum Militär. Ja, das war schon eine sehr raffinierte Verführung.
Gab’s für Mädchen auch solch attraktive Angebote? Oder wurden die eher auf die Mutterrolle vorbereitet?
Graeff-Hirsch: Ja, sicher. Aber wir nicht. Wir haben gesagt: Wir wollen Ball spielen. Unsere Führerinnen waren vielleicht zwei Jahre älter, die haben das mitgemacht. Aber jede Einheit in jedem Stadtteil war auch anders. Ich bin da gern hingegangen, weil es ja Sport war.
Hat denn niemand geahnt, was dahinter steckte?
Graeff-Hirsch: Nein, das kam erst am 9. November 1938, der Kristallnacht. Das war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Das war ganz furchtbar.
Graeff-Hirsch:Sie waren erst 9 Jahre. Wie haben Sie die Pogromnacht in Erinnerung?
Wir wohnten damals in Duisburg in der Bechem-Straße Nr. 2. In 4, 6, 8 und 10 wohnten jüdische Familien, mit denen wir keinen Kontakt hatten, natürlich nicht. Und dann kam ein Pulk von Kerlen um die Ecke, aber ohne Uniform. Es war nachmittags so um Fünf. Es wurde schon dämmerig.
Mein Bruder und ich haben die Rollschuhe in den Vorgarten geworfen und staunend zugeguckt, wie diese Kerle in die Nachbarhäuser gingen. Wir haben gesehen, wie die Gardinen hin und her flogen, wie die Männer auf dem Flügel getanzt haben, wie sie die Schränke auseinander genommen haben und alles Kristall zerschmissen. Aus den Schlafzimmern wurden die Betten runtergeworfen, die Federn flogen. Da stand man und staunte – die Erwachsenen wie die Kinder. Dann kam der ganze Pulk aus dem Haus und schrie immer wieder „Heil Hitler“. Die waren vollkommen besoffen, weil sie den Schnaps oder Wein der jüdischen Familien getrunken hatten.
Zerstörungswut und Gewalt waren Auslöser für Zweifel?
Graeff-Hirsch: Ja, es war wie ein Riss, der durch und durch ging. Hitler war ja damals eine Idolgestalt. Aber danach war die Begeisterung bei mir nicht mehr groß. Jede Familie, wenn sie nicht dagegen war, hatte ein Hitler-Bild oder eine -Büste im Haus. Immer. „Mein Kampf“, das kaum einer gelesen hat, stand in jedem Bücherschrank.
Aber Ihr späterer Ehemann, der Künstler Werner Graeff, der einen schrecklichen Leidensweg hinter sich hat, hat das Buch gelesen.
Graeff-Hirsch: Ja, er hat gesagt, es wäre schlechte Literatur, schwer lesbar. Alle, die in den Widerstand gingen, haben es gelesen. Da stand alles drin, was Hitler vorhatte. Aber den Holocaust in diesem Ausmaß konnte sich keiner vorstellen.
Mit 14 Jahren sind Sie mit ihrer Mutter nach Bayern gegangen. Warum?
Graeff-Hirsch: Weil ich diesen Bombenkrieg im Ruhrgebiet nicht mehr ausgehalten habe.
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